Reiseführer Naraita - iniya. Das Land des Wassers. Märchen für Erwachsene (Leseprobe)
- Petra Schrader
- 18. Feb. 2023
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Juli 2023

Anreise
Die Flugzeit von Frankfurt nach Aiza beträgt mit europäischen Fluglinien fünfzehn Stunden, Flugzeuge der drei größten Gesellschaften von Naraita, Aizaina, Naraita Airways und Dyae, brauchen mit AWS-Fünfstrahlflugzeugen, wie sie auf größeren Strecken eingesetzt werden, knapp die Hälfte, sind dafür aber – Sie erahnen es bereits – sehr viel teurer.
In Naraita ankommen
„Kein schöneres Land“ hat Theodor Fairy 1734 in seinen „Abhandlungen über die Großen Reisen“ geschrieben, „kein schöneres Land habe ich gesehen und kein größeres auf allen Kontinenten und vor allen Königen“. Wenn man zum ersten Mal in Naraita landet, dann glaubt man, sich zu irren. Einen besonderen Tag erwischt zu haben. Vielleicht die eigenen Hormone oder die Aufregung einer so großen Reise. Aber der Effekt wird bleiben, und er wird Menschen, die einmal dort waren, nicht mehr loslassen und immer wieder dorthinziehen: Die Intensität der Sinne. Intensives Sehen. Fühlen. Riechen. Schon am Taxistand des Flughafens riecht es nicht nach Flughafen, sondern es riecht nach Meer, nach Salz, nach Blüten und Sand. Nicht alle Menschen haben denselben Zugang zu ihren Sinnen. Aiza ist vor allem ein Wirtschaftzentrum, und immer wieder sieht man am Flughafen Flugzeugladungen von Business-Class-Reisenden, die hektisch, wichtig und multitaskend durch die wunderschönen gläsernen Kuppelhallen hetzen und nicht mal ihr Jackett abnehmen, weil sie gar nicht merken, dass es wärmer ist als in Atlanta oder in Paris. Aber auch die Mienen der Business-Süchtigen entspannen sich kurz und wirken für Sekunden gelöster, wenn sie die unbeschreiblich sanfte Luft, das weiche Licht und das Strahlen der Farben wahrnehmen, ohne es richtig zu bemerken und gar nicht wissen, was diese Wirkung auf sie hat, bevor sie sich in das wartende Taxi zwängen und den Taxifahrer aus Gewohnheit veranlassen, Fenster zu schließen und die Klimaanlage anzustellen. Machen Sie den Fehler nicht. Steigen Sie nicht sofort in ein Taxi. Hetzen Sie auch nach einem langen Flug nicht sofort weiter, sondern gehen Sie durch den Abflugterminal wieder in die Haupthalle, an der eine große Piazza mit Geschäften, Cafés, Brunnen und einem atemberaubendem Blick auf das Meer als wunderbarer erster Eindruck auf Sie wartet. Setzen Sie sich auf die Stufen oder in ein Café und kommen Sie an. Lassen Sie Ihrem Körper Zeit, das Licht wahrzunehmen, die wunderbare Luft, ein Klima aufzunehmen, das er bisher nicht kannte und genießen Sie einen ersten Eindruck auf das Meer. Sorgen Sie sich nicht wegen der Müdigkeit nach dem Flug. Die Sanftheit und Weichheit der Luft sind besser als jedes Hotelbett. Die Cafés am Flughafen bieten afieyas an, das sind Joghurtgetränke mit Auszügen der afie, das ist eine Frucht, die dem Granatapfel ähnelt und eine entsäuernde Wirkung hat, die den Körper beim Jetlag und nach langen Flügen wunderbar ausgleicht.
Iniya: Die Farbe Weiß
Ania iniya – die heilige Farbe ist ein Teil der Näherung, die oberflächlichem Tourismus schwer und immer schwerer zu vermitteln ist. Sie verstehen sie nicht. Weil sie immer häufiger nicht verstehen, wieviel und wie tief es in Naraita zu verstehen gilt. In vielen, besonders asiatischen Monarchien gibt es eine sehr tiefe und durch das Volk homogen ziehende Verehrung für das eigene Königshaus. Auch Touristen müssen dies beachten, da sie in manchen Ländern für die Lästerung eines Königs schwere Strafen erwarten. Naraita gesteht in dieser Hinsicht Touristen eine große Freiheit zu. Touristen, die ja in Naraita nicht als Verhandlungspartner und schon gar nicht als Gäste gelten, müssen gegenüber den adligen Familien nicht dieselbe Ernsthaftigkeit, protokollarische Bemühung und Ehrbezeugung nachweisen wie es für Einheimische selbstverständlich ist. Darüber hinaus ist die freie Äußerung der Meinung in Wort und Schrift in Naraita ein durch die Verfassung garantiertes Grundrecht. Seien Sie dennoch gewarnt, dass die Naraita quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungschichten keinerlei Verständnis dafür haben werden, wenn Sie sich den adligen Familien ihres Landes gegenüber respektlos verhalten. Damit ist keineswegs gemeint, dass Sie das Konzept der Monarchie nicht hinterfragen können, dass Sie sich nicht an differenzierten politischen Diskussionen beteiligen, in ihnen auch nachdrücklich Position beziehen dürfen. Die politische Analyse hat eine lange Tradition in Naraita, und das Land nennt viele der hochrangigsten, fähigsten und kritischsten Journalisten und Schriftsteller sein eigen. Adlige und hochadlige Ränge stellen sich regelmäßig Interviews, Diskussionen und Diskursen, die Ausdruck der reichen und vielfältigen Meinungslandschaft von Naraita sind. All dies aber geschieht in tiefem Respekt. Und wenn Sie diesen Repekt ablegen, haben Sie vor den Menschen, denen Sie sich nähern wollen, mit denen Sie vielleicht Beziehungen beginnen, touristische, soziale oder wirtschaftliche, in tiefer Weise Ihr Gesicht verloren. Zu tief ist die Bedeutung iniya – die Liebe und Verehrung, die dieses Land seiner Herrscherfamilie gegenüber empfindet, einer Familie, die tatsächlich objektiv ihr Land seit der Staatsgründung überragend führt, es in mächtiger und kluger Weise geprägt und entwickelt hat, vielfältig auch bewahrt, gerettet, stabilisiert und nicht zuletzt in tiefen Wohlstand geführt. Eine für Touristen bedeutsame Art der Bezeugung von Respekt ist es, die ania iniya zu respektieren: Iniya – die Farbe Weiß - gilt in Naraita als königlich und heilig. Sie ist damit ein zentrales religiöses Symbol und wird verehrt. Das bedeutet: In Naraita ist es verboten, Gegenstände in eindeutig weißer Farbe abwertend zu behandeln oder auf die eigene Person zu beziehen. Das Weiß, das Sie in Naraita finden werden, zum Beispiel als Papier, an Wänden oder im Geschirr, ist bei genauem Hinsehen immer eine leichte Abweichung von Weiß, entweder ins Besche, ins Graue oder ins Silberne. Auch dann wird es vorsichtig verwandt und nicht demonstrativ und über große Flächen als Weiß genutzt. Für Touristen und andere Ausländer gilt nun nicht, dass sie nach Naraita keine Gegenstände in Weiß einführen dürfen. Es gibt Touristen, die vernichten ihre Zahnpasta und stellen damit wieder unter Beweis, dass sie nichts verstanden haben. Es geht nicht darum, dass die Farbe Weiß verboten ist. Im Gegenteil werden sie sie in jeder Wohnung in Naraita finden, auch im Straßenbild. Aber man wird in einer naraitischen Wohnung keine weiße Waschschüssel im Bad finden. Sondern die weiße Vase mit weißen Rosen wird in Zentrum des Wohnraums stehen und so zum Ankern, zum Ausrichten, zum Verehren einladen. Sie wird auch wenn man den Raum zum Essen umbaut weil Gäste kommen nicht in die Ecke gestellt werden. Als Nicht-Naraita sind sie nun keinewegs verpflichtet, diese Verehrung zu teilen. Was aber auf naraitischem Boden verboten ist, ist dies: Das Weiß zu nutzen, um die eigene Person in Szene zu setzen. Es offensichtlich in seiner Wirkung zu nutzen, die es nun mal für die Naraita hat. Bringen Sie keine weiße Kleidung nach Naraita. Auch keine Kleidung, die einzelne weiße Streifen besitzt. Dasselbe gilt für weiße Accessoires, zum Beispiel eine Handtasche, ein Portemonnaie, auch ein Handy. Bereiten Sie Ihr Gepäck entsprechen vor, indem Sie für das Handy vielleicht eine farbige Schutzhülle kaufen oder sich die Mühe machen, neue Turnschuhe zu erwerben, die keine weißen Streifen aufweisen. Zeigen Sie, dass Sie die politische und religiöse Anschauung Ihrer Gastgeber respektieren.
Dieselbe Haltung gilt auch für die Farbe Weiß, wenn sie in der Natur vorkommt: Auch Kinder, die spielend über eine Wiese laufen, laufen nicht über eine weiße Blume. Und wenn eine weiße Muschel gesammelt wurde, wird sie nicht achtlos hingeworfen. Hier geht es um ein Symbol. Und wenn Sie mit diesem Symbol nicht umgehen können, dann halten Sie sich davon fern. Das Weiß darf wahrgenommen werden, auch verarbeitet, gesammelt und nach Hause getragen: Es darf nur nicht der eigenen Person zugeordnet sein. Es darf nicht beansprucht werden. Sollten Sie mit Naraita noch nicht vertraut sein, kann es Ihnen sehr schnell passieren, dass Sie sich eben doch am Strand auf ein weißes Handtuch legen oder die Verkäuferin fragen, ob es das Cocktailkleid, in das Sie sich sofort verguckt haben, auch in weiß gibt. In diesem Fall wird man Sie sehr schnell als Touristen einordnen. Einheimische werden in den wenigsten Fällen Sie darauf direkt ansprechen, aber sie werden, wenn Sie weiße Kleidung tragen, beim Betreten von besseren Geschäften oder Restaurants höflich auf die „Ehrung des Weiß“ hingewiesen. In diesem Fall sollten Sie sich offen, nicht übertrieben, aber deutlich bedauernd zeigen und darauf hinweisen, dass Sie noch nicht lange in Naraita sind. Man wird dies sofort verstehen und Ihnen dann nicht weiter übelnehmen, wenn Sie klargemacht haben, dass Sie die Ehrung des Weiß respektieren. Gut geführte Häuser halten für Touristen Überziehkleidung in Form von Akashes, Geniea oder leichten Jacken bereit, mit denen das Weiß zu verdecken ist. Gleiches gilt für den Fall, dass Sie von einer offiziellen Seite angesprochen werden, bei einer Kontrolle oder von einer Patrouille der Akai. Auch hier wird man Verständnis für Gewohnheiten zeigen. Bitte bedenken Sie jedoch, dass ein Aufenthaltsvisum in Naraita eine Duldung darstellt und kein Anrecht ist. Die Ehrung der iniya ist in Naraita keine Sitte, sondern ein Gesetz. Die Sicherheitsbehörden haben jederzeit das Recht, das Visum sofort zu kassieren und Sie des Landes zu verweisen. Sie werden in diesem Fall nicht nur sofort Ihren Urlaub abbrechen müssen (und alle Kosten dafür tragen), sondern werden wahrscheinlich auch nie mehr einreisen dürfen oder nur nach einem längeren juristischen Verfahren, das von Deutschland aus über die Botschaft zu führen und für den Durchschnittsverdiener finanziell kaum leistbar ist. Wir betonen das deshalb, weil es immer wieder Touristen gibt, die auch bei offiziellen Kontrollen die Ehrung des Weiß nicht anerkennen, sich weigern, das Weiß abzulegen oder zu verdecken und sich in sehr offensiver Weise abfällig über die Anmaßung ausdrücken, die sie darin sehen, dass Naraita ihnen eine Farbe verbieten will. Wenn Sie von einer offiziellen Patrouille mit einem demonstrativ weißen Kleidungsstück angetroffen werden, verstoßen Sie gegen die Einreisebestimmungen, die Sie mit Ausstellung des Visums anerkannt haben. Im Normalfall wird man Ihnen die Chance einer Korrektur geben. Wenn Sie sich aber weiterhin weigern und despektierlich verhalten, müssen Sie damit rechnen, das Land unmittelbar verlassen zu müssen.
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