Märchen für Erwachsene 15: Naraita. Ein Land im Tanz des Vertrauens in hoher Natur.
- Petra Schrader
- 20. Nov. 2023
- 14 Min. Lesezeit
Leseprobe.

Die Sonne wärmte die Veranda. Zwischen den Holzplatten lag etwas Sand. Der Wind war sanft. Abeia stand auf der Veranda des viro-Hauses und sah auf den Strand. Stand und sah. Da war Anspannung, aber auch eine seltsame Ruhe. Was sie sah, verstand sie nicht genau, aber sie spürte, dass es etwas war. Dass etwas geschehen war. Aber es war nicht so, wie sie es erwartete. Zum ersten Mal sah sie, dass die Denei, die in der Residenz wohnten in ihrer Freizeit, in ihrer Ruhezeit plötzlich anders standen. Aber nirgendwo schien Hektik. Alles blieb sanft. Regiedo Harada trat neben Abeia, und erst viel später sollte sie verstehen, dass dies kein Zufall war. Dass tatsächlich dies dazugehörte: Jemand kam zu ihr. Abeia grüßte kurz und sah dann wieder mit etwas Anspannung und etwas Verwirrung zum Strand. Aryan und Ande Noja standen genau am Saum. Schauten in dieselbe Richtung. Aber etwas schien anders als sonst: Beide hielten ein Flossenpaar in den Händen. Auch zwei weitere Wachen der Keayake standen am Strand. Einer davon war Herimo Bage, einer der Schichtleiter, die den Raum führten, wenn Namio Noja nicht im Dienst war. Zwei Koffer waren abgeladen. Sonst passierte nichts. Es ging auch niemand ins Wasser. Abeia preßte: „Ist.. da was?“ Regiedo Harada nickte ruhig. „Alles in Ordnung. Sie ist in einen Ripp geraten, und der war wohl tiefer als oft üblich und auch länger. Wahrscheinlich hatte er einen ziehenden Kern. Aber es ist alles in Ordnung schon.“ „W...er?“ „Esaja.“ Abeia erschrak. „Sie ist da im Wasser?“ „Etwa auf zwei Uhr. Da.“ Erst jetzt sah Abeia die Silhouette auf einer Welle. Sie preßte: „Oh Gott. Warum... was soll sie jetzt machen? Kann ihr niemand helfen?“ „Doch, natürlich. Kiyohara ist schon längst bei ihr.“ „Er ist bei ihr?“ „Ja, er hat sie schon auf dem Rücken. Er hat aber keine Plane draußen, das ist alles ganz stabil. Er hat sie aus dem Ripp herausgebracht und zieht sie jetzt einfach zurück, die Hunde sind auch da. Sie sind schon auf dem Rückweg.“ Abeia sah zu den Denei am Saum. „Können.. die ihr nicht auch noch helfen?“ Regiedo antwortete: „Sie stehen karai, sagt man. In einem Raum, der noch nicht gelegt ist. Karai steht man wenn möglich immer zu dritt. Ein Punkt ist dort, wo Kiyohara ist, am zweiten Punkt stehen Aryan und Ande, am dritten Punkt steht Namio.“ Abeia sah sich um. „Er ist auch da?“ Regiedo wies in Richtung der Residenz von Dak Noja. Abeia sah eine Gestalt am Strand stehen, die sie nicht erkannte. „Ich dachte, er ist.. nicht im Dienst?“ „Wir sind ordinierte Ränge. Natürlich haben wir Ruhezeiten und Zeiten des Rückzugs und des Auftankens, aber wir kennen nicht in den Sinne eine Unterscheidung zwischen Dienst und Freizeit. Es gibt zwar Zeiten, in denen wir fest einem Bereich zugeordnet sind und diesen nicht verlassen. Das nennen wir dann innerhalb der Abteilung einen Dienst. Genauer gesagt, und so ist auch der Ausdruck im Keigo, ist es eine Position. Und Namio steht im Moment nicht in der Dienstposition hier, das ist richtig. Dennoch ist das sein Raum, und wenn etwas ist, dann wird er sofort informiert, wenn er es nicht ohnehin schon gesehen hat. Wir sind seine Schutzränge, natürlich weiß er, dass im Moment genug Führränge hier sind, aber dennoch schaut er sofort. In diesem Fall muss er aber nicht kommen, sondern es ist im Gegenteil hilfreicher, wenn er dort bleibt, wo er gerade steht.“ „Aber.. er geht auch nicht ins Wasser.“ „Die halten sich jetzt nur in Bereitschaft. Kiyohara nutzt eine Rückströmung, sie sind ja nicht im Tiefwasser, sondern im vorderen Becken. Diese Strömungen verstärken sich oft wellenförmig, und sie sind auch nicht immer so wie man erwartet. Sie können also kippen. Für diesen Fall stehen sie da, sie können das von hier aus besser im Blick halten und sofort reingehen, um dann an die Stelle zu schwimmen, wo sie am schnellsten zusammentreffen. Sozusagen den Weg abschneiden. Ich glaube aber nicht, dass sie ins Wasser gehen werden.“ „N..icht?“ Regiedo antwortete: „Kiyohara macht das schon.“ Abeia atmete aus. „Aber Esaja ist nicht verletzt oder.“ „Nein. Sonst wäre sie auf der Plane, und Aryan wäre schon bei ihr.“ „Mich wundert, dass.. noch gar kein Boot da ist.“ „Boote sind genug da, sehen Sie. Dort vorne, da.. und wenn Sie die Steinelinie weiterziehen, da steht das Hauptboot dieses Raumes. Das steht viel näher als sonst, denn natürlich sehen sie, was hier geschieht. Zwar ist das eine Linie der Keayake, und ich glaube nicht, dass sie die Iya schon dazugeholt haben, aber das ist ja ein sehr genau überwachtes Gebiet. Und für den Fall, dass sie doch gebraucht werden halten also auch die sich bereit. Aber im Moment kommen sie nicht näher, weil die Strömung noch läuft, da ist die Gefahr der Verletzung zu groß. Außerdem hat die Iya in diesem Bereich andere Traditionen. Es ist eine Art.. Handarbeit. Und die wissen warum. Sie können so mehr spüren, ein Tiefenripp kann jederzeit kippen, und das merkt man vom Boot aus nicht. Natürlich könnten sie das Boot näher stellen und von da aus ins Wasser gehen, aber das ist ja hier nicht nötig, und mehr machen als Kiyohara können sie auch nicht. Es gibt motorgetriebene Bojen, die man in bestimmten Situationen einsetzen kann, und die haben sie auch an Bord, aber auch die mögen die Firo nicht. Und hier ist es auch nicht nötig. im Gegenteil gäbe es mehr Arbeit für ihn, weil er mehr Tae als sonst dabei hat. Und die müsste er dann näher zu sich holen und die Ankommenden für sie einordnen.“ „Mehr.. als sonst?“ „Die beiden Rudel, die die Residenz schützen, arbeiten eng zusammen. Das sieht man hier ganz gut. Wir haben gestern in einem der vorliegenden Küstenabschnitte eine Gruppe mit Haien gehabt.“ Abeia presste: „Haie?“ „Bullenhaie. Die kommen auch mal an Strände und schwimmen sogar Flüsse herauf. Als sie das überwachte Gebiet passierten, wurden sie entsprechend bemerkt und von der Iya wieder vertrieben. Aber hier sieht man jetzt, dass die Tae die sehr wohl gewittert haben, obwohl sie ja nicht in unsere Nähe gekommen sind. Denn es sind jetzt neun draußen.“ „Neun?“ „Unsere sieben, also da hat Nendo erstmal das ganze Rudel mitgenommen, was auch nicht selbstverständlich ist. Und Murias Hund, also der Leithund des anderen Rudels, Vabo, hat noch seine beiden Wächter mitgeschickt.“ „Die Wächter.“ „Ja, es sind jetzt vier Wächter draußen. Sehen Sie den Punkt da ganz links? Ist nicht gut zu sehen. In der Verlängerung der roten Boje. Da schwimmt schon ein Tae weiter weg vom Rudel, ich denke, dass das Gana ist, also der Wächter von Namio, und dass Kiyohara den jetzt schon zurückgeschickt hat. Da ist noch ein Punkt. Er hat also beide Wächter zurückgeschickt. Denn er ist jetzt schon im vorderen Bassin und weiß ja, dass der Abschnitt gesichert ist.“ Abeia stand eine Weile. Nicht viel geschah. Der Strand blieb ruhig. Regiedo Harada blieb einfach neben Abeia stehen. Sah ab und zu sich auf dem Gelände um. Sonst war niemand zu sehen, auch keine Kinder. Die Heranschwimmenden wurden größer. Jetzt sah Abeia, dass es zwei waren. Sie staunte: „Irgendwie hätte ich gedacht, dass da.. mehr Leute kommen. Vielleicht Hubschrauber oder.. weiß nicht..“ Regiedo Harada erklärte: „Nein, gar nicht nötig. Das ist eine aktive Linie der Keayake, sie wird also vom diensthabenden Zyra geleitet, der schaut sich das hier genau an und wird etwas hinzugeben, wenn etwas gebraucht wird. Aber hier sind vier Firo in der Szene, da muss man nichts hinzugeben. An der Art der Verteilung vorne sieht man, dass Aryan und Ande zwar sich dort bereithalten, aber Harimo in keinster Weise die Führung des Raumes hier abgenommen haben. Das ist ganz typisch für Aryan, er entgrenzt den Bakyo nicht, er zeigt ihm im Gegenteil sein Vertrauen und wird einfach mithelfen, falls etwas gebraucht wird, mehr nicht. Niemand braucht zu erschrecken.“ Abeia atmete wieder aus. Spürte erneut die Ruhe der Szene. Die beiden Schwimmenden kamen langsam näher. Jetzt waren auch die Hunde zu sehen, die um sie herumschwammen. Irgendwann bewegten Aryan und Ande sich – aber nicht so, wie sie erwartet hatte. Sie nahmen die bereitgestellten Utensilien und gingen zur Residenz zurück. Auch die Wachen zogen sich zurück. Abeia sah, wie Kiyohara durch die letzten Wellen schwamm. Als die Welle ausgelaufen war, nahm er seine Flossen ab, um diese an den Strand zu werfen. Die Hunde kamen aus dem Wasser und schüttelten sich kurz. Liefen dann plötzlich gemeinsam in Richtung Residenz, so als seien sie dorthin gerufen worden. Und dann sah Abeia etwas Wunderschönes. Kiyohara nahm Esaja aus der Rückenlage, in der sie auf ihm gelegen hatte sanft hoch, richtete sich auf und trug sie an Land. Dann setzte er sich mit ihr an eine der Strandiegen, nahm ein großes Handtuch, legte es ihr um und lehnte sie einfach an sich. Die beiden saßen still. An der Liege standen kleine Wasserflaschen, und Kiyohara gab Esaja etwas zu trinken. Abeia konnte nicht glauben, was sie sah. Esaja hielt sich einfach an Kiyohara und wirkte entspannt. Sie schien nicht erschöpft oder aufgeregt zu sein. Trank ein paar Schlücke, stellte das Glas dann wieder ab und lehnte sich wieder bei Kiyohara an. Abeia wollte zurückgehen, aber das Bild berührte sie zu tief. Schien etwas heilend zu berühren, was in ihr war. Sie sah, dass nun Aryan Noja zu den beiden getreten war. Er ging in die Hocke und lächelte warm. Auch Esaja lächelte. Aryan Noja legte seine Hände an ihre beiden Ellenbogen und dann eine Hand auf den Rücken. Tastete sanft Esajas Körper ab und fühlte ihren Puls. Dann nahm er aus einer kleinen Tasche eine Sprayflasche und sprühte ihren Knöchel ein. Verband den Knöchel ihn mit einer kleinen Bandage. Esaja trank wieder einen Schluck. Die beiden Männer saßen noch bei ihr, auch Aryan hielt jetzt ihre Hand. Abeia stand reglos.

Der Mond stand über der See. Nur wenige Wolken am Himmel. Der Herbstabend war schon kühl und voller Geräusche. Grillen, das Flattern von Fledermäusen, der Wind in den Bäumen. Der Duft der hagi-Honigkerzen auf dem Tisch. Viele Schlafzimmer waren schon dunkel. Regiedo, Rao, Ande und Kiyohara saßen noch auf der Veranda von Aryan und Nejae, auf der das Abendessen begonnen hatte. Regiedo lächelte sanft. Kiyohara sah Ande an: „Er kann das.“ Ande nickte. „Jedes Mal.“ „Warst du bei der agari dabei?“ „Und ob.“ „Wie macht er das.“ „Ich habe keine Ahnung.“ Die Männer grinsten. Dann stand Ajesa im Rahmen der Terrasse. Ihre Nacht-Tracht schimmerte silbern. Sie drückte sich etwas gegen den Rahmen, so dass sie fast gar nicht zu sehen war. Ande sah zu ihr und streckte nur eine Hand aus. „Komm zu mir.“ Ajesa lief schnell zu ihm. Ande nahm sie an sich. Ihr ganzer Körper war angespannt. Sie fror. Ande nahm das äußerste Tuch seiner Haustracht und legte es um sie. Ajesa drückte sich an ihn. Dann fragte sie leise: „Wo ist Papa?“ „Er musste gerade noch kurz in die Todai und kommt gleich wieder. Hast du schlecht geträumt?“ Ajesa schüttelte den Kopf. Erklärte nichts weiter. Ande hielt sie ruhig. Kiyohara hatte ebenfalls sein äußerstes Tuch abgenommen und wickelte Ajesa, die nur eine sehr dünne Schlaftracht trug und noch immer fröstelte, sanft darin ein. Ande sah sie genau und gleichzeitig ruhig an. Ajesa rang mit den Worten. „Ich will das Licht ausmachen, aber es geht nicht.“ Ande nickte. „Du magst das Licht nicht ausmachen?“ „Da ist eine Spinne. Sie ist sehr, sehr groß und sie ist unter mein Bett gekrochen, und jetzt kann ich sie nicht mehr finden.“ Ande meinte: „Okay, ich verstehe. Auch noch eine große.“ Ajesa formte mit ihren beiden Händen einen Kreis. Ande sah auf ihre Hand. Dann sagte er: „So groß?“ Ajesa nickte heftig. Ande erklärte: „Das ist zu groß. Das ist nicht erlaubt für Kinderzimmer.“ Ajesa atmete ein. „Aber sie ist trotzdem reingekommen!“ „Die verhafte ich.“ Die Männer lächelten. Ajesa hielt sich an Ande fest. „Kannst du sie finden?“ „Ja. Kommst du wieder mit rein? Hier draußen ist etwas kalt für dich oder.“ Ajesa schüttelte heftig den Kopf. Kiyohara sagte sanft: „Komm zu mir.“ Ajesa krabbelte bei Kiyohara auf den Schloß. Ande stand auf und nahm ein großes Glas mit. Ajesa drückte sich fest an Kiyohara. Sie hatte Tränen in den Augen. Kiyohara ließ sie an sich gelehnt, umhüllte sie mit seiner Tracht und legte seine beiden Arme darüber: Die muskulösen Arme des Noja wirkten um die zierliche Gestalt des kleinen Mädchens wie eine wärmende Decke. Ganz ruhig sagte er: „Brauchst keine Angst zu haben.“ Ajesa sagte leise: „Ich hab versucht, sie einzufangen, aber es ging nicht weil ich mich gar nicht getraut habe.“ Kiyohara nickte. „Wenn sowas ist kommst du einfach zu uns.“ Ajesa schmiegte sich an ihn.
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In der Deira-Konferenz entstand eine ganz kurze Pause. Stille. Dann sah unerwarterweise Aryan Noja auf. Er schien den Blick gar nicht richtig vom Monitor zu nehmen. Er sagte nur: „Es ist dann allerdings nicht nötig.“ Hegemo Arasua hielt inne. Aryan Noja gab einen weiteren Befehl ein, schaute auf den zweiten Monitor und sah dann wieder auf, um zu sagen: „Wissen Sie: Oketo Regiedo ist nicht edukativ. Der tut nur so.“ Einige der Ränge grinsten. Hegeo Arasua setzte an: „Die arage ist..“ „Herifo.“ Aryan hatte die Linie geschlossen und sah jetzt ganz zu dem diensthabenden Zyra der Nai: „Er ist mein Deno. Wenn so etwas nochmal geschieht: Sorgen Sie sich nicht. Lassen Sie ihn einfach machen.“ Hegemo Arasua räusperte sich fast lautlos. Schien nach Worten zu suchen. Aryan Noja lächelte. „Er ist dort stehengeblieben, weil er das konnte. Nicht, weil er gezögert hätte. Oder weil er auf irgendjemanden gewartet hätte. Und schon gar nicht, weil er erschrocken gewesen wäre. Er hat diese Situation gesichert. Dass er das so wunderbar stilvollendet macht und sehr indirekt und mit wenigen Gesten nur, das ist wunderbar und ganz typisch für ihn; es ist wahr, dass er so gesehen das Protokoll nicht abgelegt dabei. Nie. Aber das ist nicht alles.“ „Ekaraite adai. Ich wollte natürlich keinesfalls damit ausdrücken, dass ich dem Oketo nicht vertraue. Jedoch hatte ich es für notwendig gehalten, zusätzliche Kräfte hinzuziehen.“ Aryan Noja nickte. „Das ist völlig verständlich. Und Sie dürfen uns als Personen- und Raumschützer aller höchsten Gebäude hier jederzeit kontaktieren, wenn Sie sich unsicher fühlen. Situationen wie diese wirken bedrohlich. Und sie können es auch werden. Aber Regiedo kann sehr gut entscheiden, wann er wen dazualarmiert oder auch nicht. Je nach Schichteinteilung ist er der höchste anwesende Sicherheitsrang der Todai. Und glauben Sie mir, das wird man bei uns nicht so ohne weiteres.“ Wieder Grinsen. Hegemo Arasua neigte den Kopf. „Efaraisse atadai. Ich werde mich bei ihm entschuldigen.“ Aryan Noja sah ernst auf. „Das müssen Sie sicherlich nicht.“ „Ich habe dann falsch eingeschätzt...“ „Das dürfen Sie.“ „Er hatte ja halt auch keine Waffe.“ „Selbstverständlich hatte er eine. Er hat sie nur nicht genutzt.“ Wieder innehalten. Hegemo Arasua setzte an: „Aber...“ „Jeder Führrang der Keayake trägt auf Todaigelände eine Waffe, egal, ob er eine Position hält oder nicht. Auch in den Einsätzen seiner dire. Wir legen die Waffe spätestens mit dem Betreten des Geländes an, im Normalfall aber schon auf dem Weg zum Dienst.“ Der Zyra der Nai schaute verwundert. Aryan Noja erklärte ruhig: „Wir stellen auf dem Gelände der Todai die exekutive Verantwortung. Dazu müssen wir jederzeit bereit sein.“ Hegemo Arasua sah Aryan Noja an. Dieser trug keine Einsatzkleidung: die Tracht fiel weich, glatt und elegant. Man sah die unausgesprochene Frage in den Augen des jungen Zyra. Er stellte sie nicht. Die anderen Keto und Deno, die anwesend waren, standen ruhig - sie wußten, dass Aryan Noja als höchster Rang der Keayake, der Leibgarde des Sheya, fast nie direkt demonstrierte. Auch in Kleinigkeiten nicht. Auch in Ansätzen nicht. Ejonay Arasua sah auf den Noja und wußte, dass er spürte, was auch Ejonay spürte: Hegemo Arasua war von der Situation noch berührt. Verunsichert. Er brauchte ein Zeichen. Und Ejonay wußte, dass Aryan Noja ihm das Zeichen geben würde. Tatsächlich machte der Keto der Keayake einen kurzen Handgriff. Dann legte er die Waffe vor sich. Hochglänzendes, wie sanft strahlendes, uraltes Silber. Ein tief schwarzer, mit Akena-Leder beschlagener Griff. Schwarze Vaiyo-Samt-Einlagen direkt am Handgriff. Eine wunderschöne, handgefertigte Amytralin-Hochpräzisions-Waffe. Der Zyra staunte. Mit einem weichen Handgriff war die Waffe wieder verschwunden. Die Tracht fiel weich und glatt - es war kein äußeres Holster zu sehen.
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Tabi Agare lag ruhig. Sie konnte sich kaum bewegen. Alles war etwas verschwommen. Aber es kam keine Angst. Jemand hielt sie. Es war warm. Sie wußte nicht mehr, wo sie war. Der Mann, der sich über sie beugte strahlte eine tiefe Ruhe aus. Tabi versuchte zu sprechen, doch sie konnte kaum die Lippen richtig bewegen. Der Griff des Mannes war ruhig und wärmend. Tabi suchte seinen Blick. Er nickte. Dann sagte er: „Bleiben Sie liegen. Alles in Ordnung. Mein Name ist Aryan Amea Noja. Sie liegen hier am Strand unserer Residenz und sind von einer Amytra getroffen worden. Sie wurde mit einer Welle angeschwemmt, da konnten Sie nichts gegen tun. Es ist nichts passiert. Sie werden schon wieder wach und können jetzt einfach ein paar Minuten liegenbleiben. Es geht Ihnen gut. Wir warten, dann kommt die Bewegung in die Muskeln zurück.“ Tabi sah etwas vor ihrem Mund. Der Mann sprach weiter ganz ruhig. „Hier bekommen Sie etwas Sauerstoff, dann ist das Atmen noch leichter. Alles ist aber ganz in Ordnung. Bleiben Sie einfach liegen. Das Amytralin wird von selbst und sanft abgebaut.“ Tabi sah, dass der Mann ein Stethoskop absetzte. Noch immer sie hielt. Die Angst kam nicht. Der Blick war zu ruhig. Der Mann hielt die Maske und sagte: „Es gibt einen ganz leichten Stich im Arm, da legen wir Ihnen gerade eine Infusion. Das ist nichts Schlimmes, die Schlange haben wir schon eingefangen. Wir wissen auch schon, dass Sie Asthmatikerin sind, aber das ist jetzt hier kein Thema und nichts von dem, was Sie spüren hat damit zu tun. Wir passen auf Sie auf.“ Erst jetzt sah Tabi den anderen Mann. Er wirkte ebenfalls ruhig und hatte ein intensiv freundliches Gesicht. Er hatte ihr eine Nadel in den Arm gelegt. Sie hatte es überhaupt nicht gespürt. Auch er hielt sie sanft. Die beiden Männer waren ihr ganz zugewandt. Es war, als hätten sie sie an sich gelehnt. Tabi versuchte zu reden, doch der Mann neben ihrem Arm sagte: „Ruhen Sie sich aus. Nicht anstrengen. Die Kraft kommt gleich wieder, es dauert eine Weile. Einfach atmen. Ruhig atmen.“ Tabi nickte und spürte eine leichte Beklemmung. Der erste Mann hatte die Maske sanft auf ihr Gesicht gesetzt und schien jetzt etwas einzustellen. Die Maske wurde kühler. Ruhig sagte er: „Wir passen auf Sie auf. Es geht Ihnen gut.“ Tabi sah, dass der zweite Mann schnelle Handgriffe machte. Sanfte. Ruhige. Und schnelle. Der erste Mann faßte jetzt mit der Hand unter ihren Nacken. Seine Stimme war ganz ruhig. „Ich bin bei Ihnen. Ich spüre, wie es Ihnen geht. Wenn es zu schwer wird mit dem Atmen, dann helfe ich Ihnen. Aber noch geht es. Sie brauchen nicht zu sprechen. Nicht sprechen. Zurücklehnen. Genau. 5 mg.“ Der zweite Mann setzte eine Spritze auf und gab etwas durch. Der erste Mann erklärte: „Das ist ein Medikament, das den Abbau etwas beschleunigt und auch ein bißchen Beruhigung bringt. So dass Sie gut liegen können. Das kann einem schonmal passieren sowas. Ist kein Problem.“ Er sprach ruhig und fast durchgehend - wie eine Berührung, die sie nicht losließ. Er trug sie mit den Worten. Sprach während der Handgriffe, die er machte immer wieder. „Wir sind alle hier. Wir setzen Ihnen jetzt eine kleine Pressur an der Hüfte. Wir sind Ärzte und auch Hize-Ränge, wir kennen uns mit Amytralin sehr gut aus. Wir arbeiten auch gerne mit Pressuren, die sehr wohltuend sind. Durch diese Pressur bekommen die Muskeln etwas mehr Kraft. Das Atmen wird etwas leichter, das Bewegen auch, aber bleiben Sie noch liegen.“ Tabi spürte eine ruhige und warme Berührung an der Hüfte. Tatsächlich spürte sie, dass etwas mehr Kraft entstand. Der Blick des anderen Mannes hatte ihren jetzt übernommen, während der erste Mann mit jemandem hinter ihr sprach. Anweisungen gab. Es waren noch andere Leute um sie herum, aber sie sah sie nicht. Tabi begriff, dass es der zweite Mann war, dessen Hand an ihrer Hüfte lag. Unter ihrem Badeanzug. Ruhig sagte er: „Mein Name ist Ande Amea Noja. Na kaum sind Sie zu Gast hier lernen Sie uns schon alle kennen.“ Er lächelte tief sanft. Tabi fühlte eine Wärme. Vertraute ihm sofort. Die Hand war unaufdringlich, ruhig und berührte nur den äußeren Hüftknochen. Die Pressur wurde etwas stärker, und Tabi spürte, wie ihr guttat, was sie bekam. Der Mann hatte den Gesprächsfaden des ersten Mannes übernommen: „Es ist wohltuend für Ihren Körper, Sie müssen keine Angst haben. Amytralin ist wenn wir alle da sind und Sie nicht alleine sind sogar etwas Wertvolles für den Körper. Vieles wird dadurch gestärkt. Die Amytra ist ein Wassertier. Wir haben hier ein sehr heilsames Wasser. Bleiben Sie einfach liegen. Es gibt überhaupt keine Gefahr für Sie, wir müssen jetzt einfach warten.“ Tabi spürte, wie der erste Mann die Maske wieder sanft abnahm. Das Atmen war etwas leichter geworden. Sie nickte und versuchte gegen alle Vernunft doch zu sprechen. Etwas verwaschen sagte sie: „Es geht.. schon besser.“ Sofort war die Atembeklemmung wieder da. Als ob sie gefallen wäre und es ganz klar war, wer von beiden sie auffängt, griff der erste Mann zu - sein Händedruck wurde fester, und die Maske kam wieder näher. Sehr ruhig sagte er: „Keine Angst. Keine Angst. Alles gut. Tief atmen.“ Panik. Tabi wollte gegen die Beklemmung ankämpfen und mehr atmen als sie eigentlich benötigte. Es ging nicht, und sofort entstand Panik. Sie wollte sich aufrichten, doch auch das ging auch nicht. Der erste Mann hatte die Maske nun ganz auf ihren Mund gesetzt und begann, sie zu beatmen. Währenddessen sagte er mit leicht gehobener Stimme: „Ich mache das. Ich mache das. Nehmen Sie sich. Es ist genug Luft da.“ Auch die Hand an ihrer Hüfte war jetzt fester. Von dort aus entstand Beruhigung. Wie ein Griff. Die Panik wich. Tabia lehnte sich wieder zurück und nickte nur. Sprach nicht. Der erste Mann hatte seine Atemhübe bereits verlangsamt. Jetzt ließ er sie wieder selbst atmen. Sagte ganz ruhig: „Ich bin bei Ihnen. Ich sehe, wie es Ihnen geht. Wenn es wieder kommt, bekommen Sie wieder Hilfe. Jetzt einfach warten. Einfach warten. Bevaren 2.“ Der zweite Mann hatte eine weitere Spritze aufgegezogen, während der erste erklärte: „Sie bekommen jetzt noch etwas zur Stärkung Ihrer Leber, die im Moment das Amytralin abbaut. Wir unterstützen Sie, mehr nicht.“ Tabi spürte eine tiefe Beruhigung. Alles wirkte zusammen: Die Wärme an der Hüfte, die Worte, der Blick, die warme Hand.
Zehn Minuten später konnte Tabi sich wieder aufrichten und wurde von ihrer Mutter in den Arm genommen.
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