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Märchen für Erwachsene: Naraita. Das Land des Wassers. Über die Keayake.

  • Autorenbild: Petra Schrader
    Petra Schrader
  • 19. Apr. 2023
  • 35 Min. Lesezeit



John Cargeil saß wie in allen seinen Magazin-Sendungen: Vor einem farbig-grellen Tisch, den pinken Brombeer-Tee, sein Markenzeichen, vor ihm stehend. Das Licht hatte einen leicht türkisen Stich. Cargeil war einer der bekanntesten Talkmaster der USA. Er galt als populär, aber sein Blick war konzentriert und intelligent: John Cargeil war auch ein guter Zuhörer. Mit dem Ende des Werbejingles begann er erneut: „Wir sind zurück, zu Gast ist bei mir heute Thomas Witer, Thomas, lassen Sie mich für unsere Zuschauer noch einmal zusammenfassen, wer Sie sind: Sie sind eigentlich kein typischer Fernsehgast, oder.“ Der Mann, der John Cargeil gegenübersaß war hochgewachsen, graustichig, das Gesicht wirkte durch viele Falten intensiviert. Sein Sitzen wirkte aufrecht, aber nicht gespannt. Er lächelte nur ansatzweise. „Es ist nicht meine Art.“ „Sie sind 20 Jahre lang verantwortlich gewesen für die Sicherheit des Präsidenten der Vereinigten Staaten.“ Thomas Witer lächelte stärker. „Ich war Teil eines Teams.“ „Ist das nicht eine typisch amerikanische Antwort?“ „Personenschutz ist Teamarbeit. Ich kann nun mal keinen Kreis um jemanden bilden.“ „Sie waren der Direktor des Secret Service.“ „Eine Zeitlang.“ „Mittlerweile sind Sie pensioniert. Wir haben Sie als Gast gewinnen können für unsere Themenreihe Sicherheit. Darüber bin ich sehr glücklich. Dass wir Sie für die Show eingeladen haben, ist schon zwei Wochen her. Die Ereignisse des gestrigen Tages haben uns ein bißchen eingeholt, wäre es okay für Sie, dass wir auch darüber sprechen?“ Thomas Witer lehnte sich zurück. „Wie Sie richtig sagten, bin ich nicht mehr im Dienst. Bei dieser Konferenz, die der Reihe vorsteht, geht es um grundlegende Sicherheitsfragen.“ „Dave Ogaar, der Führer der Republikaner, hat seine Reise nach Aiza abgesagt: Aus Sicherheitsgründen. Wer beschützt den Führer der Opposition, können Sie uns dies grundsätzlich erklären? Ist der Secret Service hier auch zuständig?“ „Nein, der Secret Service ist eine Spezialgruppe, die direkt für das White House arbeitet.“ „Ist es richtig, dass das FBI für die Sicherheit einer solchen Reise von Dave Ogaar zuständig ist?“ „Das ist richtig.“ John Cargeil lehnte sich zurück. „Was ist da passiert, Thomas. Das FBI hat die Reise abgebrochen. Es gibt ein life-Statement von Ricardo Tuil, er sagte ich zitiere „Die Sicherheitsbehörden von Naraita können nicht in der von uns geforderten Weise Strukturen und Mittel bereitstellen. Sie erlauben uns auf der anderen Seite nicht, in Aiza Sicherheitsstandards aufzustellen, die dem Entwicklungsstand moderner Technik entsprechen. Aus diesem Grund können wir die Mission so wie sie geplant ist nicht verantworten.“ Der Moderator lauerte: „Noch vor zwei Monaten war der amerikanische Präsident zu Gast in Aiza. Begleitet vom Secret Service. Darf der Secret Service in Naraita Dinge, die dem FBI verwehrt bleiben?“ Thomas Witer lehnte sich zurück: „Der Secret Service genießt bei Reisen des amerikanischen Präsidenten in andere Länder einen großen Freiraum. Wir sind in Absprache mit der jeweiligen Regierung bemüht, unsere Ressourcen optimal einzusetzen. Diplomaten und Sicherheitspersonal auf diesen Ebenen des internationalen Parketts sind gut aufeinander eingespielt. Ricardo Tuil ist ein erfahrener Kollege. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist und möchte auch nicht darüber spekulieren.“ John Cargeil nahm eine vorbereitete Karte: „Ricardo Tuil hat weiterhin gesagt: Es wurde uns in Naraita verboten, den Führer der Opposition zu schützen. Die Personenschützer, die von Naraita zur Verfügung gestellt wurden, waren unbewaffnet und besaßen weder Durchsetzungskraft noch Durchsetzungswillen, einem potenziellen Angreifer entschieden entgegenzutreten. Ihr Auftreten wirkte auf uns semiprofessionell. Wir vermuten, dass sie nicht die erforderliche Ausbildung besaßen und zudem mangelhaft ausgerüstet waren.“ Thomas Witers Miene zog sich zu. Er sagte: „Was für ein Unfug.“ John Cargeil schlug die Beine übereinander. „Er hat eine diplomatische Krise ausgelöst.“ „Ich hoffe nicht und bisher sehe ich dafür auch keine Anzeichen. Ich hoffe, dass weder in Naraita noch in den Vereinigten Staaten dieser Selbstinszenierung Beachtung geschenkt wird.“ „Ist es falsch, was er sagt?“ „Es ist richtig, dass Naraita den Gästen der Todai einen eigenen Personenschutz stellt. Wir können auch als Secret Service nicht in die Todai mit unseren Waffen. Das ist Teil der diplomatischen Abmachung. Wir sind dort präsent, aber wir legen unsere Waffen ab. Wir lassen sie im Flugzeug.“ John Cargeil lehnte sich zurück. „Tatsächlich.“ „Ja. Auch der Weg vom Flughafen liegt in der Verantwortung der lokalen Behörden.“ „Das heißt, es geht um Vertrauen?“ „Es sind diplomatische Beziehungen. Naraita ist in dieser Beziehung hoch verläßlich. Ich bin kein Politiker. Aber ich habe dort großen Respekt und eine große Gastfreundschaft erlebt, auch uns als Diensten gegenüber.“ „Das FBI hat Naraita vorgeworfen, Dave Ogaar, der immerhin drei Morddrohungen pro Monat bekommt, unbewaffnete und bestenfalls semiprofessionelle Sicherheitsleuten an die Seite gestellt zu haben. Kann Naraita es sich leisten, den Führer des Senats von Amerika auf ihrem Grund und Boden einer solchen Gefahr auszusetzen?“ Thomas Witers Miene ergraute erneut. „Dave Ogaar war Gast des Doya von Naraita, das Team sollte wie unser Team damals auch auf dem Gelände der Todai übernachten. Der Personenschutz wurde daher durch die Keayake geleistet. Ricardo Tuil hat ein Problem mit den Keayake. Das ist in unseren Kreisen gut bekannt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er mit solchen politischen Beziehungen derart spielt und so medienwirksam an die Öffentlichkeit geht. Ich nenne das grob fahrlässig. Die Keayake darüberhinaus als unentschlossen zu bezeichnen oder gar semiprofessionell finde ich sehr gewagt.“ „Die Keayake sind die Leibgarde des Sheya und die Palastwache der Todai. Warum sollten sie nicht bewaffnet sein?“ „Selbstverständlich sind sie bewaffnet! Aber die Keayake sind nicht vergleichbar mit anderen Personenschutzeinheiten. Um das zu verstehen, muss man sich tiefer damit beschäftigen. Das ist nicht schwer, es ist kein Geheimnis, wie die Keayake und auch die Anai arbeiten. Nur manche westlichen Länder verstehen das nicht.“ „Wie kommt Ricardo Tuil zu der Aussage, die Keayake seien nicht bewaffnet?“ „Die Keayake setzen keine Patronenwaffen ein. Sie haben ein anderes Waffensystem, schon seit ihrer Gründung, und die ist definitiv länger her als die Gründung des FBI. Die Waffen haben sich weiterentwickelt natürlich, wie bei uns auch, das Prinzip ist dasselbe geblieben. Jemanden mit einer Amytralin-Waffe unbewaffnet zu nennen ist schon sehr gewagt.“ „Was ist Amytralin?“ „Es ist ein Schlangengift, das Gift der Amytra. Die Schlange ist eine der gefährlichsten, die es in Naraita gibt. Sie ist sehr schnell und macht eine Angriffs-Bewegung, die eher einem Sprung gleicht. Ihr Gift wirkt lähmend und narkotisch. Die Lähmung wirkt nur Sekunden, der Bewußtseinsverlust je nach Dosierung über Stunden.“ „Aber der Getroffene kann daran nicht sterben.“ „Bei korrekter Anwendung nicht. Die Lähmung, die auch die Atemmuskulatur mit einschließt, wirkt nur Sekunden. Der Bewußtseinsverlust hält meist über Stunden an. Manchmal kommt es zu Verletzungen durch den plötzlichen Sturz. Aber diese sind im Normalfall nicht vergleichbar mit beispielsweise einem Einschuss einer Patronenwaffe unserer Dienste. Die Kugeln, die mit dem Amytralin beschichtet sind, werden aus einem Material hergestellt, das Neme genannt wird. Neme besitzt Eigenschaften von metallischen und non-metallischen Kristallen und ist mit dem Stein der Todai verwandt. Neme-Kugeln sind härter als normale Kugeln. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie besser als eine normale Kugel ein anderes anorganisches Material durchstoßen können, etwa könnte man damit ein Türschloß durchschießen, sicher dreimal schneller als mit einer Patronenwaffe, auch sind viele Panzerungen und auch gepanzerte Westen nicht Neme-sicher. Gleichzeitig wird die Kugel nicht abprallen. Es gibt also weniger die Gefahr eines Querschlägers. Die Kugeln sind also härter, dabei aber sehr viel kleiner. Sogar kleiner als Schrot. Potenziell kann man also auch unabhängig vom Amytralin mit ihr einen Körper verletzen oder töten, wenn man sehr viel Feuer richten würde. Aber die Keayake haben das Ziel, das Amytralin in den Körper zu bringen. Ein Treffer ist damit ausreichend, eine schwere Verletzung nicht nötig. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sie sehr sicher treffen.“ Stille. Der Moderator fuhr sich über seinen Bart. „Wie finden Sie das persönlich?“ „Eine Amytralinwaffe ist in meinen Augen die eleganteste, anspruchsvollste und schönste Waffe, die es gibt. Nur wirksam geführt von einer großen Kunst und einer großen Kraft. Sie trägt eine große Macht. Sie unterbricht Eskalationen, ohne sie zu verstärken. Sie stoppt eine Aggression, ohne selbst eine hinzuzufügen. Sie verschont Unbeteiligte. Sie schenkt Zeit. Sie beruhigt eine Situation. Und sie stellt eine völlige Sicherheit her.“ „Ist diese Waffe nicht... harmloser?“ „Sie ist erheblich effizienter.“ „Das müssen Sie mir erklären.“ „Eine normale Schußwaffe kann einen Attentäter nicht sofort stoppen. Auch mit in der Konsequenz tödlichen Schußwunden können Sie noch eine ganze Weile Schaden anrichten. Selbst mit einem Kopfschuß sind Sie nicht sicher gestoppt. Amytralin wirkt in Sekundenbruchteilen.“ „Aber die Waffe tötet nicht.“ „Warum sollte das notwendig sein?“ „Das ist eine seltsame Frage.“ „Nein. Die Frage ist richtig, und sie werden keine Antwort finden. Weil es nicht notwendig ist. Oftmals ist das Gegenteil der Fall. Es kann sehr wertvoll sein, einen Attentäter lebend zu bekommen. Und für die Sicherheit von erheblicher Relevanz. Mit unseren westlichen Methoden ist dies häufig gar nicht möglich. Wenn ich eine Angreifer so schone, dass er hinterher noch verhört oder verurteilt werden kann, muss ich ein Risiko eingehen in der Gefahrensituation.“ „Und was macht man mit einer „eleganten“ Betäubungswaffe, wenn jemand mt einer Handgranate vor einem steht? Oder einem Sprengstoff?“ „Und was machen Sie dann mit einer Schußwaffe? Wenn es jemand mit einer Handgranate so nah an ihre Schutzperson heran schafft, dass er diese gefährden könnte, dann ist sowieso etwas massiv falsch gelaufen. Souveräner Personenschutz kontrolliert Raum. Erstmal heißt das: Er sorgt dafür, dass der Raum frei bleibt von Angreifern mit Waffen. Wenn es dafür eine Auseinandersetzung geben muss, dann kann ein souveräner Schutz nach vorne gehen, er kann also die Schutzperson weghalten vom Ort des Geschehens, und dazu braucht er eben einmal genug Raum und außerdem genug Leute. Kommt jemand der Schutzperson so nah, dass eine Handgranate oder ein andere Explosivstoff zum Einsatz gebracht werden könnte, dann kann sage ich mal nur noch Amytralin helfen, also eine sofortige motorische Lähmung des Angreifers.“ „Das heißt, auch Sie persönlich schätzen Amytralin-Waffen als effektiver ein als Schußwaffen.“ „Aber ja.“ „Warum setzen Sie sie dann nicht auch ein?“ „Weil wir es nicht können. Zunächst haben wir kein Amytralin. Es ist bisher nicht gelungen, es chemisch herzustellen, es gibt auch heute noch in der Todai Schlangenfarmen, in denen die Schlangen gemolken werden. Und das ist keine ungefährliche Angelegenheit. Dann aber ist der Umgang mit Amytralinwaffen eine Kunst, die wir nicht beherrschen. Auch normale Sicherheitsleute in Naraita beherrschen sie nicht. Amytraline sind die Waffen der exekutiven Heze, der Hochabteilungen. Sie brauchen ein jahreslanges und dann auch lebenslanges Training.“ „Was macht es so schwierig?“ „Ich habe einmal mit so einer Waffe schießen dürfen. Ich bin Scharfschütze, und ich habe trotz zwei Stunden Trainings ein Ziel, das drei Meter von mir entfernt war noch immer um zwei Meter verfehlt.“ „Das ist kein guter Wert nehme ich an.“ Der Secret-Service-Mann lächelte nicht. „Man kann mit dieser Waffe nicht schießen. Man muss es mit dem Körper tun. Wenn ich die Waffe geradeaus richte, dann heißt das nicht, dass sie auch geradeaus feuert. Denn was gerade ausgerichtet ist, ist nur mein Arm. Und nicht mein Körper. Die Waffe selbst ist so derart schnell reagibel, das schon das leichte Einatmen den Mechanismus um fünfzig Zentimeter verreißen kann. Die Waffe hat nicht so viel von einer Pistole als mehr von einem Bogen. Denn genau das war sie viele frühe Jahrhunderte lang. Man braucht eine tiefe, geordnete und stabile Mitte. Und zwar auch in heftigen Situationen.“ Der Moderator trank einen Schluck Tee. Dann sagte er: „Ist es richtig, dass in manchen Sicherheitskreisen die Keayake verachtet werden, weil sie nicht töten wollen?“ Stille. Thomas Witer sagte ruhig: „Die Keayake sind keine Sicherheitskreise. Sie sind Ränge eines Ordens. Ich habe viele von ihnen kennengelernt. Unglaubliche Menschen. Ich bin glücklich, mit ihnen zusammengearbeitet zu haben.“ „Aber können Sie verstehen, dass der Führer des Senats sich nicht von den Brüdern der Barmherzigkeit gegen Kriminelle schützen lassen will?“ Thomas Witers Stimme wurde noch ruhiger: „Nein. Das kann ich nicht verstehen. Es ist kurzsichtig. Es ist oberflächlich. Schutz funktioniert nicht so, dass man einfach draufhaut. Oder dass man aggressiv auftritt. Hochaggressiv. Dass man alles plattmacht. Das ist nicht Schutz, sondern das ist nur die Grundsteinlegung für die nächste Aggression, die sich aufbaut und daher ein Nähren von Gefahr. Die Keayake verstehen soviel von Schutz wie niemand anders. Das ist meine persönliche Meinung. Und was die „Brüder der Barmherzigkeit“ angeht: Ich glaube nicht, dass die Keayake eine solche Zuschreibung zurückweisen würden. Aber diese Männer tragen ein exekutives Charisma. Und sie sind darin meiner Meinung nach nicht nur begabt, sondern hochbegabt. Ich habe dort bei ungelernten jungen Novizen Dinge gesehen, da würden erfahrene Einsatzkräfte von uns viel Mühe haben, das mal eben zu zeigen.“ Der Moderator lehnte sich erneut zurück. „Was aber geschieht, wenn ein Keayake vor die Wahl gestellt wird, einen Angreifer zu töten oder seinen Schutzrang zu gefährden? Ist einem Personenschützer, der aufgrund seiner spirituellen Ideologie das Töten ablehnt nicht tatsächlich an diesem Punkt weniger Entschlossenheit zuzutrauen? Kommt Ricardo Tuli vielleicht deshalb zu seiner Behauptung, im Personenschutz brauche man richtige Männer und keine Mönche?“ Thomas Witners Miene blieb ernst. Dann sagte er: „Ich erlebe vieles in Naraita als kraftvoll, intensiv und lebendig. Seien Sie versichert: Die Ränge der Keayake sind richtige Männer. Ich habe nun gehört, dass Ricardo Tuli genau diesen Satz einem Führrang der Keayake beim Vortreffen ins Gesicht gesagt haben soll. Einem adligen Rang. Ich brauche einen Mann und keinen Mönch. Und der Keayake hat darauf überhaupt nicht reagiert. Für Ricardo Tuli ein Zeichen von fehlender Durchsetzungkraft. Für mich ein Zeichen von Souveränität.“ „Können wir dies im speziellen Fall wirklich beurteilen?“ Stille. Thomas Witers Miene zog sich erneut zu. Dann sagte er: „Sie glauben, dass die innere Kraft eines Mannes, seine Reife, seine Größe dadurch gemessen werden kann, wie schnell, automatisch und wie heftig er auf eine Beleidigung reagiert? Das Gegenteil ist der Fall. Als ob ein Führrang der Keayake sich und seine Abteilung dadurch bloßstellen würde, dass er in eine diplomatische Verbindung hinein agiert zu einem Zeitpunkt, in dem dies aus Sicherheitsgründen überhaupt nicht nötig ist. Das sind erstklassige Leute. Wer hier deklassiert wurde ist das FBI selbst. Und dann im Nachhinein auch noch zu unterstellen, dass diese souveräne und ruhige, hochprofessionelle Reaktion fehlende Manneskraft zeigt. Was möchte Ricardo Tuli hier sehen? Dass ein adliger Rang der Keayake in Wild West Manier den, der ihn beleidigt hat durch den Raum wirft? Wozu er ohne Zweifel fähig gewesen wäre. Ich weiß über Umwege, aber verläßlich, dass der Rang, der dort beleidigt wurde Dak Egoreza Noja war. Ich kenne den Odano aus meiner langjährigen Arbeit, von vielen Besuchen und auch Gesprächen. Wir haben unsere Arbeit gemeinsam abgestimmt, und es gab auch mehrere Situationen, in denen wir eine Entscheidung fällen mussten oder in denen ich ihn um Rat gebeten habe. Obgleich bei unseren Aufenthalten in Naraita die gesamten Hoheitsrechte bei der Heze liegen und die Belange unserer Schutzränge damit während des gesamten Aufenthalts in die Verantwortung der Keayake übergeht, haben diese uns durchgehend kollegial und mit Respekt behandelt, haben uns immer wenn es um unsere Schutzränge ging mit hineingenommen, uns informiert, uns auch angehört und dafür gesorgt, dass wir ausreichend engen Kontakt hatten, unsere Schutzränge sahen, jederzeit Zugang zu ihnen hatten und Präsenz zeigen konnten. Dak Egoreza Noja ist ein hoher Führungsrang der Keayake. Ich sage über diesen Mann nur soviel: Wenn er redet, höre ich zu. Und ich darf auch Folgendes sagen: Eine meiner beschämendsten Erfahrungen habe ich in Naraita gemacht. Ich habe damals außerhalb meines Dienstes auf dem Gelände der Todai in einer wie ich dachte nicht beobachteten, wunderschönen Küstenecke für mich alleine beschlossen, dass ich schwimmen möchte, obwohl dies dort nicht erlaubt ist ohne Badewache. Ich bin ein sehr guter Schwimmer und habe mir dies wohl zugetraut. Ich geriet in Schwierigkeiten, die mich wahrscheinlich das Leben gekostet hätten. Dak Noja hat mich aus dieser Strömung herausgeholt. Alleine, er war mir gefolgt. Ich weiß nicht wie, aber er wußte, was ich vorhatte. Er hat mich dort herausgeholt und einfach an den Strand gesetzt. Und niemand hat bis heute davon erfahren, zumindest niemand, von dem ich weiß. Es hätte mich meine Karriere kosten können. Es gibt dafür auch keine Entschuldigung, ich war kein junger Rekrut, sondern der Leiter des Secret Service. Schwimmen ohne Badewache ist in Naraita eine Straftat, weil man nicht nur sich, sondern potenziell auch andere Menschen damit in Gefahr bringt, die etwa versuchen, einem zu helfen. Ich habe mich nicht einmal bei ihm bedanken können, ich war zu erschüttert... von dieser Grenze. Wie sehr ich mich überschätzt hatte. Und wie dumm ich gewesen war. Wäre dieser Zwischenfall an die Öffentlichkeit geraten, wäre ich damals in der amerikanischen Presseöffentlichkeit großem Druck ausgesetzt gewesen. In unserem Land wäre es nicht vermittelbar gewesen, dass es in Naraita Strände gibt, an denen man es als ausgebildeter Navy Seal Kampftaucher nicht innerhalb einer Küstenlinie von 300 Metern aus eigener Kraft zum Ufer schafft. Auch wenn man ein Mann ist. Und Dak Noja hat mir gezeigt, wie das geht. Er hat mich nach einiger Zeit der Ruhe dann zu meiner Gastwohnung zurückgebracht. Sechs Stunden später hat er erneut nach mir gesehen, am nächsten Morgen wieder. Nur er. Wir waren noch vier Tage dort. Niemand aus Naraita hat mir einen Vorwurf gemacht. Ich bekam keinen Alkoholtest, auch kein Drogenscreening, obwohl ich versichern kann, dass beides negativ gewesen wäre. Als ich wieder zu Hause war und diesen Vorfall für mich aufarbeitete, habe ich erst erfahren, dass ich nach naraitischem Recht tatsächlich eine Straftat begangen hatte. Was mir nicht klar gewesen war. Zwar wußte ich um das Verbot, aber nicht, dass es sich um eine Straftat handelte. Dies ist mir durchaus ebenfalls vorzuwerfen, aber es war mir nicht bekannt. Daraufhin habe ich anwaltlichen Rat gesucht, denn für meine weitere berufliche Karriere und für die Nähe zu meinen Schutzrängen war diese Frage von Bedeutung. Tatsächlich wurde ich aufgeklärt, dass ich auch in der Rolle, die ich dort einnahm vor Ort ein Verfahren hätte bekommen müssen, da es aufgrund diplomatischer Immunität in Naraita keine Aussetzung dieser Verfahren gibt, sondern nur eine Aussetzung der Vollstreckung des Urteils. Daraufhin habe ich einen persönlichen Kontakt mit Dak Noja aufgenommen und ihm gesagt, dass ich als Privatperson nach Naraita zurückkommen werde, um das Verfahren nachzuholen, da ich nicht wollte, dass er für mich etwas verbergen muss. Dak Noja hat mir daraufhin erklärt, dass ich mir keine Sorgen machen muss, denn die Verfahrenslinie sei noch am selben Abend eröffnet und abgeschlossen worden. Sollte ich glauben, sie eines Tages zu benötigen, würde er mir die entsprechenden Dokumente darüber zukommen lassen. Daraufhin war ich völlig verwirrt, da ich nichts von einem Verfahren wußte und auch kein Urteil kannte. Dak Noja sagte nur: Efarete asai iname akana. Dies ist die Kraft, die mir anvertraut wurde. Er hat das Verfahren geführt, eine Einschätzung dokumentiert, ein Urteil gefällt und die Linie eingestellt. Ich bin in diesem Land ein bürgerlicher Gast. Er ist ein adliger Führungsrang der Abteilung, die auf dem Boden, auf dem ich diese Straftat begangen habe zuständig ist für die Einordnung von Verstößen. Aus so etwas kann man diplomatische Taktiken machen. Man kann Gäste damit auch fern der Öffentlichkeit unter Druck setzen: Ihr Secret-Service-Leiter hat eine Straftat begangen. Wir decken das, und jetzt kommen Sie uns entgegen. So wäre es überall gelaufen. Aber nicht in Naraita. Dak Noja hat mir einfach geholfen, ohne mich bloßzusstellen. Er hat mich auch nicht belehrt oder irgendetwas Kluges gesagt. Ich hatte einen Fehler gemacht. Und er hat das vorausgesehen. Ich denke, dass Ricardo Tuli nun einen Fehler macht. Menschen machen Fehler. Und dann brauchen sie Hilfe. Damals habe ich Hilfe bekommen.“ Stille. John Cargeil nickte: „Ich verstehe Ihre emotionale Verbindung zu dieserm Vorfall.“ „Fein.“ „Es gab noch einen zweiten Vorwurf, der der Frauenfeindlichkeit. Dieser Vorwurf wird übrigens von der CBT gestützt. Pamela Wrest, die Vorsitzende der CBT, hat diesen Vorwurf sogar auch auf andere Behörden in Naraita ausgeweitet.“ Thomas Witers Stimme wurde sehr ruhig. „Ich habe bei meinen Aufenthalten die Beziehung zwischen den Keayake und den Frauen dieser Abteilung als sehr warmherzig erlebt.“ „Fakt ist aber, dass diese Frauen keine Waffen bekommen.“ „Das ist richtig.“ „Und Fakt ist, dass junge weibliche Auszubildende, die in den exekutiven Dienst möchten, die also an der Waffe ausgebildet werden möchten und auch als Personenschützer arbeiten wollen von den Keayake nicht ausgebildet werden. Sie nannten gerade selbst diese Unterscheidung zwischen „Keayake“ und „Frauen.““ „Die Neje.“ „Was ist ein Neje-Rang?“ „Ich möchte mir nicht anmaßen, dies zu beschreiben. Zumeist wirken sie in der Abteilung selbst, also auf dem Gelände der Todai. In manchen Linien begleiten sie die Keayake auch.“ „Warum lassen die Naraita Frauen nicht an eine Waffe? Wir haben recherchiert: Tatsächlich trifft dieser Vorwurf nicht nur auf die Keayake zu, sondern auch landesweit auf alle Behörden, zum Beispiel auch die Polizei. Und sogar auch für diplomatische Abteilungen, beispielsweise die Ekya. Auch dort werden Diplomaten von Frauen „begleitet“.“ „Korrekt.“ „Andere Länder, andere Sitten?“ „Ein möglicher Ausdruck.“ Stille. Dann sagte John Cargeil: „Ich komme von der Idee nicht los, dass es für einen Angreifer, für einen Attentäter doch.. eine niedrigere Schwelle ist, wenn er weiß, dass da.. Waffen eingesetzt werden, die ihm letztlich nicht das Leben nehmen. Sind Personenschützer, die in dieser Einstellung arbeiten, nicht doch.. weniger entschlossen? Ist der Sheya von Naraita professionell geschützt? Entschieden?“ Thomas Witer lächelte nicht. Fast kühl sagte er: „Da können Sie sicher sein. Die Kollegen der Keayake arbeiten höchst professionell, sind erfahrene und auch in benachbarten Disziplinen exzellent ausgebildete Fachleute und uns wie ich meine in vielem voraus. Die Keayake sind überdies nicht nur Personenschützer, sie sind auch Einsatzkräfte. Sie werden mit sehr schwierigen Projekten betraut, search and rescue-Missionen, Ermittlungen, Zielfahndungen. Das FBI weiß das sehr gut und hat sich in wie auch andere Behörden unseres Landes bei internationalen Einsätzen sehr wohl und bereitwillig von den Keayake helfen lassen.“ John Cargeil lehnte sich zurück. „In der Tat? Können Sie es uns etwas mehr darüber sagen? Oder ist das geheim? Was bedeutet es, wenn Sie sagen „das FBI weiß das sehr gut“? Thomas Witner sagte ruhig: „Es gibt zahlreiche dokumentierte und veröffentlichte Ereignisberichte, die keineswegs geheim sind. Ebenso gibt es sicher Unterlagen, die nicht veröffentlicht werden. Öffentlich einsehbar sind zum Beispiel Berichte über Rückholaktionen bei Naturkatastrophen, terroristischen Geiselnahmen, vor allem Geiselnahmen größerer Gruppen, Lösegelderpressungen sowie Rescue-Missionen in Unruhe- und Kriegsgebieten. Nicht selten sind Bürger verschiedener verbündeter oder befreundeter Länder betroffen, und Dienste treffen aufeinander. Man kennt sich.“ „Das heißt, die Keayake, denen hier fachliche Schwäche vorgeworfen wird, sind in diesern schwierigen Szenarien auch beteiligt.“ „Im Regelfall sind sie führend. Zunächst einmal sind sie praktisch immer als Erste da. Das liegt an verschiedenen Faktoren, sie haben sehr gute und schnelle Transportressourcen, sie haben eine sehr schnelle Einsatzbereitschaft, dort gibt es entsprechend vorgehaltene Dienste, die nicht erst alarmiert werden müssen, sondern die sind innerhalb von zwei Minuten in der Luft. Und vor allem monitoren sie solche Lagen intensiver, sie wachen in einem umfänglichen Sinne, sie bemerkten Entwicklungen und Zuspitzungen schneller. Auch wenn diese völlig unerwartet auftreten. Es gibt Dinge, die kann man nicht vorhersehen, aber Naraita weiß davon häufig als erstes. Und zunächst einmal möchte ich hier sagen, dass mehrere Situationen bekannt wurden und noch viel mehr Situationen nicht bekannt, in denen in bestimmten Gebieten, zum Beispiel in größeren Städten des afrikanischen Kontinents, in dem sich einige Konsulate westlicher Länder befanden diese Menschen in existenziellen Notsituationen von den Keayake mit in ihr Konsulat genommen wurden, das viel besser ausgerüstet und geschützt war als andere Konsulate, bis die Dienste der entsprechenden Länder eintrafen. Auf diese Weise wurde einem sehr guten Freund von mir, der in unserem Konsulat im Sudan arbeitete das Leben gerettet. Unser Evakuierungstrupp war schon unterwegs, aber Naraita war eher da. Als die Navy Seals kamen, stand das Konsulat schon in Flammen. Draußen tobte der Mob. Es war furchtbar. Naraita hat sein Konsulat gehalten und die Leute sicher evakuiert. Es ist nicht nur, dass sie es können. Sondern auch, dass sie es machen. Und wie sie es machen.“ „Sie scheinen ein großer Fürsprecher der Keayake zu sein.“ „Ich bin ein Bewunderer fachlicher Exzellenz. Diese Männer arbeiten auf einer anderen Ebene. Sie sind immens effektiv, dabei weich, leise und sehr, sehr gut trainiert und ausgerüstet. Vor allem aber sind sie schnell. Das ist von großer Bedeutung. Sehen Sie, ein feindliche Gebäude, ein Gebäude, das unter Feuer ist, wo es Schußwechsel gibt oder auch schon Verletzte unter Kontrolle zu bringen, das ist nicht so einfach, wie die meisten Menschen glauben. Es ist nicht so man kommt an und kann da rein rennen. Ohne einen Überblick zu haben, ohne die Baupläne zu kennen, ohne etwas über die Kräfte dort zu wissen, ohne eine strategische Struktur zu haben. Natürlich können Sie einfach reinrennen. Aber dann haben Sie Verluste in ihren Reihen, möglicherweise erhebliche, und das ist nicht nur tragisch, sondern es kann diese Hilfe auch zunichte machen, weil Sie einfach Holz ins Feuer geworfen haben und sonst nichts. Wer da sofort reingeht ist also im Regelfall fachlich sehr schwach oder immens verzweifelt. Die Keayake kommen und gehen sofort rein. Aber sie sind weder das Eine noch das Andere. Sie kommen und kennen dieses Gebäude bereits. Sie müssen sich keine Struktur aufstellen, die bringen sie mit. Sie müssen auch nicht erst ein Meeting machen, wie sie taktisch vorgehen, oder demokratisch legitimieren lassen, dass sie überhaupt vorgehen, was eine Unmenge an Verzögerungen und Schwierigkeiten mit sich bringen kann, sondern das entscheidet eine Person alleine: Ein adliger Führrang. Weil er es kann. Demokratie ist in Feuer-Situationen nicht hilfreich. Sie haben andere Ausrüstung, die wir nicht durchschauen und die sie auch uns nicht zur Verfügung stellen. Es geht hier nicht um Patente. Es gehört einfach ihnen und kein anderer kann es. Das Amytralin ist nur ein Beispiel. Wenn man so etwas sieht, und ich habe es gesehen, dann sieht man pure Schönheit. Die kommen in ein Feuer und sind wirklich Wasser und nicht Öl wie die allermeisten Dienste. Sie hinterlassen kein Schlachtfeld. Sie hinterlassen keine noch traumatisierteren Schutzbefohlenen. Sie fangen mitten im Feuer an mit der Betreuung. Das kenne ich von keinem anderen Dienst. Die reden mit denen. Die fassen die an. Die nehmen die auch an sich, ich habe das oft gesehen. Dak Noja, den ich vorhin erwähnte, kannte ich daher, dass ich in einer sehr schweren Szene, die ich hier nicht genauer beschreiben darf dabei erlebt habe, wie er ein schreiendes Kind an sich genommen hat und in den Arm. Während er Kommandos gab und selbst schießen musste. Und dieses Kind ist ruhig geworden. Während des Schußwechsels. Die Situation war noch nicht stabilisiert. Und das Kind war bereits ruhig. Das ist nicht mehr nur fachliche Stärke, Herr Cargeil. Das ist ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass da ein Meister steht.“


John Cargeil schwieg kurz. Dann sagte er mit etwas veränderter Stimme: „Es scheint erstaunlich, was Sie erzählen angesichts des Themas, dass... diese Männer nicht letztlich... Gegner auch töten.“ Thomas Witners Stimme wurde etwas knapper und gleichzeitig dichter. Ungeduld. Und: Schmerz. „Gerade deshalb. Verstehen Sie nicht. Wir sind hier von einem öffentlichen Publikum. Ich kann nicht einfach alle mögliche erzählen, aber ich möchte auch, dass hier kein Schaden entsteht. Was das FBI hier getan hat haben die glaube ich selbst noch nicht verstanden. In meiner Dienstzeit ist mein stellvertretender Leiter unter sehr unvorhersehbaren Umständen in einem afrikanischen Land von Terroristen gefangengenommen worden. Es handelte sich nicht um einen Diensteinsatz. Wir haben dennoch Pläne entworfen dafür, ihn zu befreien. Natürlich haben wir. Aber die vorliegende taktische Situation war verfahren. Natürlich war es auch ein politisches Problem, wir können da nicht einfach irgendwo.. einfallen. Aber es gibt Wege, und es gibt auch Teams für so etwas. Wir hätten ihn da rausbekommen. Die Frage ist nur, ob wir ihn lebend rausbekommen hätten. Meine Einschätzung lautet: Nein. Es ist ein Privileg, dem Weißen Haus zu dienen. Und wir konnten erleben, was diese Beziehung bedeutet. Die First Lady hat mit uns gesprochen. Und dann hat sie die Jonaya von Naraita angerufen. Wir haben sie um Rat gebeten. Wir haben mit ihnen nicht vor Ort gesprochen, dazu war keine Zeit. Mein Kollege und Freund war unter Folter, er war auch jederzeit in Gefahr, exekutiert zu werden. Die Keayake haben dann ihren Leiter dazugeholt, dessen Name ich nicht nennen darf; jedoch ist landesweit bekannt, dass die Keayake von den Noja geführt werden. Dieser Mann hat mir gesagt: „Ich hole Ihnen den da raus. Aber lassen Sie uns das alleine machen.“ Wir haben dann alle unsere Leute abgezogen. Das war ein Hochdesign, das muss... ohne Störungen ablaufen. Ich kann nur soviel sagen: Sie sind zu dritt gekommen. Mehr nicht. Lautlos, schnell, sanft. Unser Mann wurde noch in der Zelle behandelt, da es ihm sehr schlecht ging. Und dann wurde er nach Naraita gebracht, durch die Abrettung nicht weiter verletzt, es gab einen Schußwechsel, den die Keayake klar dominiert haben. Der Kollege wurde auf dem Gelände der Todai intensivmedizinisch behandelt und hat dort dann später auch eine Rehabilitation hinter sich gebracht, die nach einer Zeit von einem Jahr dazu führte, dass er wieder voll dienstfähig war. Und zwar an Leib und Seele. Ich habe ihn jetzt nicht explizit gefragt, ob ich diese Geschehnisse hier so öffentlich darlegen darf. Ich bin aber sicher, ich bin vollkommen sicher, dass er dafür wäre. Wenn er hört, dass eine für unser ganzes Land stehende Behörde die Keayake dermaßen demütigt. Dann wird er froh sein, dass ich hier spreche. Er weiß, was er diesen Menschen verdankt. Und viele Menschen wissen das nicht.“


Der Moderator schwieg kurz und sah dann auf seinen Zettel. „Ein weiteres Zitat möchte ich noch nennen: „Die Keayake setzen Hunde ein, die bei den Indianern Schafe hüten. Bei den Keayake hüten sie die Staatsführung von Naraita. Ich sage dazu nichts.“ Er sah auf. „Was hat es damit auf sich?“ Thomas Witers Stimme wurde etwas schärfer: „Ich hätte gewünscht, dass es wahr wäre.“ „Keine Hunde?“ „Dass er dazu nichts sagt.“ Witer atmete aus. „Ich verstehe nicht, was sein Ziel ist.“ „Dass Hunde eingesetzt werden, ist ja nun auch in anderen Ländern üblich.“ Witer antwortete: „Das FBI besitzt eine Tradition von 150 Jahren. Die Keayake gibt es seit 1800 Jahren; die Kiye, in der sie verwurzelt sind schon seit 7000 Jahren. Was will ich damit sagen. An einem jungen Baum ist nichts schlecht. Aber ein alter Baum hat ganz andere Wurzeln. Steht mit ganz anderen Schichten in Kontakt. Die Keayake arbeiten in der Tradition ihrer Herkunft, und das ist die indianische Welt des Nordens von Naraita. Diese indianische Kultur arbeitete schon immer mit Hunden, mit einer bestimmten Art, an die Natur heranzugehen, mit einer eigenen Medizin, einem eigenen Wissen im Umgang mit Wetter und Wasser und mit ihrer eigenen Spiritualität. Und das tun die Keayake auch. Sie tun es so authentisch, dass die reinen Kiye, die nach wie vor in ihren angestammten Gebieten leben, wie ich weiß die adligen Keayake heute als ihre Führung ansehen und auch verehren. Nun mag es Menschen geben, die diese indianischen Wurzeln verachten oder rassistisch reagieren, es mag Menschen geben, die dies verklären oder romantisieren. Ich sehe die Art, wie Keayake arbeiten mit Neugier und mit großem Respekt. Natürlich haben sich die Techniken weiterentwickelt. Ich gehe davon aus, dass jeder Führrang der Keayake einen Hubschrauber fliegen kann, und das mussten sie vor 1800 Jahren nicht. Aber sie sind in ihrer Weise ihren indianischen Wurzeln treu geblieben und haben es so denke ich geschafft, Wissen, Kultur und innere und äußere Schätze dieser Tradition zu bewahren und in die Moderne weiterzuentwickeln. Ich interessiere mich sehr für Hunde und besitze auch selbst welche. Lassen Sie mich etwas ausführen, und Sie werden sehen, was ich meine. Die Keayake setzen nicht irgendwelche Hund ein, sondern Tae. Im Laufe ihrer Ausbildung reifen die Führränge der Keayake zur Führungspersönlichkeit, und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, bekommen sie vom ihren Familienführer einen Tae geschenkt, der sie oft ein Leben lang begleitet. Diese Tae können im Dienst eingesetzt werden oder auch im privaten Umfeld, und wie sich Keayake als Team zusammenfinden können so können sie auch ihre Tae zusammenstellen zu einem kleineren oder größeren Rudel, wenn dies für eine bestimmte Aufgabe gut ist. Die Tae sind eine ganz alte Rasse, die von den Kiye gezüchtet werden. Es sind nicht etwa, wie Ricardo Tuil behauptet hat, Hütehunde – diese sind gezüchtet, um Herden, vor allem Schafherden, zusammenzuhalten, zu treiben und zu dirigieren - sondern in den Begriffen westlicher Hundezucht sind sie Herdenschutzhunde. In Naraita aber gehören sie zu den Wasserschutzhunden. In Europa und Amerika nennt man Wasserhunde aber vor allem Hunde, die mit Fischern jagen, also Fischschwärme anzeigen, Fische zusammentreiben und einfangen oder apportieren. Schutzhunde haben keinen starken Jagdtrieb, sondern eben einen Schutztrieb. Naraitische Wasserschutzhunde schützen traditionell Familien, die am und vom Wasser leben. Natürlich schützen sie diese nicht nur im Wasser, sondern auch an Land, auch von Gefahren an Land, aber ihre besondere Begabung ist das Anzeigen von Wetterumschwüngen, das Bergen von Badeverunfallten, das Sichern in ablandigen Strömungen, der Schutz vor Gefahren im und am Wasser, zum Beispiel das Anzeigen von Wasserschlangen, von giftigen Fischen und Quallen, große Wasserschutzhunde schützen Schwimmende und Fischende auch vor Haien und helfen beim Finden von Untergegangenen. In einem dunklen oder schlammigen Untergrund hat ein Schwimmretter fast keine Möglichkeit, einen Untergegangenen zu finden; naraitische Wasserschutzhunde spüren diese Menschen blitzschnell auf und zeigen sie an – größere Hunde wie die Bega oder die Nauwe, die bei der Iya so routiniert eingesetzt werden wie hierzulande Jäger immer einen Jagdhund haben - oder eben die Tae holen sie auch direkt zurück an die Oberfläche, wo sie dann von Menschen versorgt werden können. Wasserschutzhunde sind langjährig ausgebildet, müssen sorgfältige Prüfungen ablegen und sind deshalb sehr teuer. Zum Beispiel muss ein ausgebildeter Wasserschutzhund in der Lage sein, einen Ertrinkenden selbständig zu retten. Das ist nicht so einfach, wie es klingt, da Ertrinkende häufig in Panik sind und die Hunde lernen müssen, damit umzugehen, die Situation einzuschätzen und nicht etwa mit Gegenaggression zu reagieren. Die Bega sind die bekanntesten und verbreitetsten Wasserschutzhunde in Naraita, sie ähneln vom Aussehen unseren Retrievern, allerdings ist ihr Fell wasserabweisend. Nauwe sind Hunde mit einem sehr wollenen Fell, die wirken ein bißchen wie große Pudel. Dann gibt es Geke, das sind kleinere Hunde, ein bißchen ähnlich einem heimischen Cocker Spaniel, diese gehören eigentlich nicht zu den Wasserschutzhunden, sondern zu den sogenannten Uferschutzhunden; sie sind Spürhunde, die gefährliche Tiere oder auch Strömungen meilenweit anzeigen können. Viele Iya-Wachen setzen Bega und Geke zusammen ein: Die Bega helfen ihnen beim Schützen im Wasser, und die Geke sichern den Strand, indem sie die gefürchteten Badeschlangen anzeigen, außerdem spüren Geke Wetterumschwünge noch eher als Bega. Und nicht zuletzt sind Geke an den meisten Stränden äußerst beliebt, weil sie viel und gerne mit Kindern spielen, absolut zutraulich und sanft sind und völlig geduldig. Sie sind in keinster Weise Schutzhunde und nicht ausgeprägt territorial. Tae dagegen sind eine ganz andere Hausnummer. Sie besitzen die Fähigkeiten von Bega wie von Geke, und beide sicher noch ausgeprägter, aber sie sind genetisch gesehen erheblich weniger domestiziert und sie können ich sage mal einfach noch ein paar Sachen mehr. Dabei haben sie einen ganz anderen Charakter. Insbesondere sind sie dafür geeignet, in sehr schweren Wettern zu bestehen, sowohl an Land als auch besonders im Wasser, in Strömungen, Unwettern oder sehr hohen Wellen eigene Entscheidungen zu treffen, an Land zurückzufinden oder dort lange jemanden zu ziehen. Wasserschutzhunde treffen wie alle selbständigen Hunde ihre eigenen Entscheidungen, was ihre Grenzen angeht. Auch ein Schutzhund weicht zurück, wenn er sieht, dass er keine Chance hat. Ein Bega geht bei höherer Brandung nicht ins Wasser und schon gar nicht bei stärkerem Wind. Genau wie ein Hund bei schlechtem Wetter nicht jagen wird, sondern hinter dem Kachelofen bleibt. Ein Tae aber geht nicht nur in eine Sturmflut: Er wird nur einem Menschen folgen, der dort auch hingeht. Der ihm beweist, dass er dort souverän ist. Ansonsten wird er ihm nicht trauen, sondern ihn schützen. Ein Tae ist kein Spielhund. In keinster Weise kann man sie einfach an einen Touristenstrand setzen und allen Kindern erlauben, sie zu streicheln. Zudem ist er ausgesprochen territorial. Wenn es aber gelingt, sie zu führen, erlebt man edle und sensible Hunde, tief treu, intelligent, sehr geschickt, ausdauernd, kräftig, ausgestattet mit sehr feinen Sinnen, außerordentlich wachsam, in hohem Maße selbständig, mit einer ungewöhnlich hohen Lebenserwartung. Sie brauchen fast durchgehend sinnvolle und fordernde Aufgaben wie eben die Wasser- und Hauswacht und tatsächlich brauchen sie neben Spaziergängen halt auch Schwimmgänge. Die Haltung oder gar die Zucht dieser Tiere ist streng reglementiert, man trifft sie letztlich nur bei den Kiye, in bestimmten Einsatzfeldern der Edera, und eben bei den Noja. Einen Tae zu führen ist dabei durchaus ein Statussymbol. Nicht für Macht oder Reichtum. Sondern einfach dafür, einen solchen Hund führen zu können. Ein Pferd zu reiten ist das Eine. Einen Araberhengst zu reiten ist das Andere. So ist es auch mit Tae. Tae unterwerfen sich Menschen nicht. Sie werden in einer falschen Haltung sofort aggressiv, apathisch oder sonstwie gestört. Sie werden auch einen gut gebundenen Tae niemals an einer Leine sehen. Im Wasser gibt es nun mal keine Leine. Und wenn ein Tae seinen Führer akzeptiert, dann braucht er keine Leine. Wenn nicht, kann man ihn kaum aus dem Haus lassen. Bei den Kiye muss ein Häuptling einen Tae besitzen, weil im Glauben der Kiye ein Tae erspüren kann, ob ein Mensch die innere Berufung und Reife einer wirklichen Führung besitzt. Bei einem Besuch in Naraita sind wir mit einer kleineren Gruppe außerhalb des Dienstes an einem Strand der Edoa geschwommen. Mit dabei war ein Führrang der Keayake, der seinen Tae dabei hatte. Dieses Tier war so wunderbar, dass ich mein Schwimmen beendete, um das Tier beobachten zu können. Es saß wie eine unbewegliche, ruhende Statue am Strand und sah nur auf uns. Es wußte ganz genau, wieviele wir waren, wo wir waren, es hatte alles im Blick. Irgendwann baute er sich auf. Er blieb völlig still, ein Blick zu seinem Führer reichte. Der Keayake holte uns sofort aus dem Wasser. Nicht passierte. Das Wasser blieb ruhig, das Wetter blieb ruhig. Erst am Ende meines Besuchs kam ich dazu, ihn zu fragen, was der Hund angezeigt hatte. Er antwortete: „Ich weiß es nicht. Da war etwas im Wasser, das sich uns näherte. Vielleicht ein Hai, vielleicht eine giftige Qualle.“ Der Hund war nicht mal im Wasser.“ Der Moderator schien kurz beeindruckt.



Aryan stand im Heilmittelraum der Eria-Station und deckte das Tablett ab, nahm die leere Spritze und die leere Ampulle. Die Tür zum nebenan liegenden Schwesternzimmer war offen. Er hörte, wie Schritte erklangen. Dann erklang die sanfte Stimme von Teja Abare, der langjährigen Stationsleiterin der Eria: „Ist Aryan noch gekommen?“ „Er ist bei Gana drin.“ Aryan schloß die Schachtel und sagte: „Ich bin hier.“ Wieder Schritte. Teja Abare grüßte. Aryan lächelte. „Ekai.“ „Ekaisse.“ Aryan Noja war nicht im Dienst, aber er kam nach seinem Dienst bei den Keayake abends meist noch auf der Station vorbei. Teja sah auf das Tablett, das er entsorgte. „Braucht du Hilfe?“ „Nein danke.“ Teja schien zu zögern. Dann schloß sie die Zwischentür zum Raum des Schwesternzimmers. Aryan stellte das Tablett weg und lehnte sich gegen die Anrichte. Teja atmete aus. „Hast du.. noch ein paar Minuten?“ „Natürlich.“ „Könntest du vielleicht.. nach Fira sehen. Sie hat gleich Feierabend, und ich hatte gehofft, dass sie vorher... noch mit dir spricht.“ „Fira?“ „Sie traut sich nicht nach Hause. Zum Schichtbeginn hat sie gefragt, ob du heute im Dienst bist. Ich habe gesagt, nein, aber ich würde dich gerne anrufen, wenn sie dich sucht. Aber das wollte sie nicht.“ „Ist sie noch da?“ „Sie ist im Teeraum glaube ich.“ „Ich schaue nach ihr.“ „Ich danke dir.“



Der Gang lag still. Der Spätdienst war abgeschlossen, die Übergabe vorbei. Die warme Dunkelheit der Sommernacht war heraufgezogen. Die Station der Eria lag ruhig. Aryan Noja lief weich und zart verbunden mit dem Boden. Vielleicht waren seine Schritte deshalb nicht zu hören. Als er in die offenen Tür des Aufenthaltsraumes trat, sah er Fira Meyo, eine der erfahrensten Schwestern der Todai, mit hochgerolltem Ärmel sitzen. Sie hatte eine offene Salbentube vor sich liegen und rieb den Arm ein. Der Oberarm war von Hämatomen übersät. Für einen geübten Blick war deutlich zu sehen, dass sie durch umklammernden Hände verursacht worden waren. Aryan Noja blieb stehen. Fira Meyo schrak hoch. Sie erstarrte. Tat nichts: Es war zu spät. Der Arm war zu sehen. Sie macht eine etwas schnelle Bewegung und warf damit versehentlich die Tube vom Tisch. Fira Meyo hatte den Ärmel wieder bedeckt. Hilflosigkeit. Aryan Noja schloß die Tür. Er kam zum Tisch und setzte sich. Die kiyestarke Schwester, die in der Edera aufgewachsen war, presste: „Ekirasse atai. Es ist nichts.“ Aryan Noja nickte. Reagierte nicht, wie Fira befürchtet hatte. Sagte nichts. Fragte nicht. Bedrängte sie nicht. Er nahm sich eine Teetasse. Firas Tasse war noch gefüllt. Der Denei goß den Tee ein. Dann sagte er ruhig: „Schmerzen?“ Fira presste: „Es ist.. nicht so schlimm. Ich...“ Wie eine Wand begann sie zu weinen. Sie wußte, dass sie vor Aryan Noja nichts verbergen konnte. Und sie wollte auch nicht. Sie weinte wie still. Aryan Noja hatte ihre Hände genommen. Die Spannung löste sich mit den Tränen. Fira schluchzte kurz und intensiv. „Es.. ich habe Angst nach Hause zu gehen. Was soll ich nur machen.“ Aryan Noja hatte seine Hände ineinander gelegt. Sah sie ruhig an. „Zu mir kommen.“ „Ich wollte. Ich wollte, aber.. es ist nichts.. wegen der Sicherheit verstehst du. Nichts wegen der Todai.“ „Fira, das entscheide ich. Nicht du. Aber selbst wenn es so ist: Auch dann bin ich für dich da.“ „Ich habe ein neues Schloss einsetzen lassen. Aber er ist trotzdem reingekommen. Wie kann das sein. Ich war so.. erschrocken.“ „Wer.“ „Mein Vermieter.“ „Hat er dich verletzt?“ „Nein, er... hat mich nur gefaßt. So am Arm.. ich habe gestern abend erst gesehen dass da Hämatome sind. Ich habe es gar nicht gespürt in dem Moment. Ich.. vor einiger Zeit hat er begonnen, mir Avancen zu machen und ich habe nicht reagiert. Dann hat er gefragt, ob wir ausgehen und.. ich habe nein gesagt und dass ich nicht möchte und noch um meinen Mann trauere und alles.. das hat er nicht akzeptiert. Seit Wochen nicht. Er schickt mir furchtbare Briefe und schreibt.. dass er nachts in mein Schlafzimmer kommen wird und dass er.. mich hören kann wenn ich schlafe und.. dass er jederzeit Zugang hat zu meiner Wohnung. Das ist so furchtbar. Ich habe dann das Schloß auswechseln lassen von einer externen Firma, aber als ich gestern vom Dienst kam, waren diese furchtbaren Blumen an meinem Bett. Er muss dadrin gewesen sein. Dann war ich so aufgebracht und bin zu ihm, da wollte er mich in seine Wohnung zerren. Er hat mich am Arm gefaßt. Ich hab geschrien, da hat er mich losgelassen und ich bin weggelaufen.“ Sie weinte. Aryan Noja saß ganz ruhig. Schaute tief ernst. Fira rang mit den Händen. „Die Wohnung ist so schön. Und sie liegt so gut für mich.. ich wollte da nicht sofort wieder raus, aber jetzt.. traue ich mich nicht nach Hause. Heute nacht war ich in einem Hotel. Aber jetzt habe ich keine frische Kleidung mehr, und ich kann auch keine neue kaufen, weil meine Handtasche noch in der Wohnung ist.“ Aryan Noja sah sie ruhig an. „Fira. Du musst nicht in ein Hotel gehen. Du musst zu mir gehen. Bist du woanders verletzt. Hat er dir was getan.“ „Nein. Nein, es ist nur am Arm..“ „Darf ich dich anschauen.“ „Etaisse.. ja natürlich.. es sind nur.. Prellungen.“ Aryan Noja stand auf und trat hinter sie. „Zieh einmal die Tracht aus bitte, dann kann ich die Schulter ansehen.“ Fira legte das Oberteil der Diensttracht ab. Aryan Noja sah auf den Rücken und die Arme. Dann begann er, den Arm sehr sanft zu untersuchen. Drehte behutsam die Schulter. Tastete das Gewebe ab. Fira war sehr lange nicht mehr so sanft berührt worden. Es beruhigte sie mehr als Worte. Sie saß ganz still. Aryan ließ seine warme Hand auf den Hämatomen liegen und nickte: „Das ist geprellt. Die Salbe ist gut. Kein Verband, einfach ohne Druck lassen. Und ruhig halten, du musst nicht arbeiten so.“ „Ich .. .ich wollte. Hier.. fühle ich mich ja sicher. Und wohl.“ Aryan Noja setzte sich wieder ihr gegenüber, und sie zog ihre Tracht an. Der Denei sagte: „Warum bist du nicht zu mir gekommen.“ Fira presste: „Ich.. bin zu den Akai gegangen.“ Aryan Noja nickte. „Okay. Was haben die gesagt..“ „Ich war heute morgen in der Wache bei meiner Wohnung. Ein Akai hat mich angehört und gesagt, es wäre im Kern eine Mietstreitsache.“ Aryan erklärte ruhig: „Das ist keine Mietstreitsache.“ Fira hatte Tränen in den Augen. „Er meinte, wenn nochmal etwas wäre sollte ich anrufen. Aber so könnten sie nichts machen, es wäre ein etwas plumper Annäherungsversuch, aber dass ich ein Hämatom bekomme davon dass er mich anfaßt das würde noch nichts heißen. Und die Briefe hat er sich gar nicht angesehen. Er meinte, wenn etwas wäre, wären sie sofort da, ich sollte mir keine Sorgen machen. Aber ich kann nicht noch einmal dahin.“ Sie weinte lautlos. Fira sagte gepresst: „Ich habe ihm gesagt, dass ich das Schloß ausgewechselt habe. Und er trotzdem reingekommen ist. Und da sagte er, ich solle den Schlüssel von innen einstecken über Nacht. Aber ich.. traue mich nicht mehr nach Hause.“ Aryan Noja lehnte sich zurück. Dann sagte er: „Ich verstehe. Wo sind diese Briefe.“ „Ich.. habe sie in meiner Handtasche.“ „Zeigst du sie mir.“ Fira stand auf und ging zu ihrem Schrank. Nahm die Tasche heraus und holte einen Stapel Zettel hervor. Gab sie Aryan. Dieser legte sie vor sich und sah sie an. Überflog sie nur. Dann nickte er und sagte: „Okay. Ich möchte gerne, dass Ande davon erfährt. Dass er weiß, wie es dir geht, dass er sich um dich kümmert. Und dabei auch im Hinterkopf hat, wo du arbeitest. Gehen wir zu ihm?“ Fira hatte Tränen in den Augen. „Es ist vielleicht.. nichts Großes. Ich wollte.. niemanden hier belästigen damit.“ Aryan sah Fira genau an. Ruhig und ernst. Stille. Fira spürte die Wärme seiner Hände. Spürte die Ruhe, die ihren inneren Schock langsam auflöste. „Ja. Es tut mir leid, ich.. hätte dich fragen sollen. Aber.. wir können Ande nicht stören damit. Die yihe macht.. nur größere Sachen. Zum Glück.. ist mir ja nichts passiert.“ „Die Akai haben dir nicht ausreichend geholfen. Daher kannst du dich an die yihe wenden, genau dafür ist sie da. Wir gehen zu ihm, ich werde für dich sprechen.“ Fira atmete erleichtert auf. „Akarisse adatenede. Ich danke dir.“


Der Garten lag sanft erhellt. Auf den Wegen war es ruhig: Die Keayake wechselten zu anderen Zeiten ihre Schicht als die anderen Abteilungen, da die Schichtwechsel an den Schleusen eine der Hauptarbeitsdichten war. Als Fira sah, dass Aryan Noja mit ihr auf das Abteilungsgebäude der Keayake zuging, hielt sie inne: „Er ist hier?“ „Ja, er war auch im Spätdienst, jetzt wird er noch die Abend-Nachbesprechung von seinem Team machen, mit dem er heute gearbeitet hat. Danach können wir ihn gut treffen.“ Fira sah erstaunt, wie sie den Eingang zum Gebäude passierte, ohne ein item zu tragen. Sah grüßende Ränge. Aryan ging mit ihr eine Treppe hoch. Fira ging jetzt hinter dem Keto. Hörte klappende Türen. Mehrere Sicherheitsschleusen, die sie einfach passierten. Dann waren sie auf einem hellen Flur. Gelächter. Schränkeklappen. Aryan schaute in eines der Zimmer. Fira hörte, wie sich sofort alle erhoben. „Ekarai. Ist Ande noch hier?“ „Atariasse. Ist grad rübergegangen.“ „Danke.“ Aryan führte Fira zu einem weiteren Zimmer. Fira sah einen wandbreiten Waffenschrank. Drei Männer reinigten ihre Waffen. Ande Noja stand mit einem vierten Mann am Fenster und sprach. Als Aryan Noja in die Tür trat, erhoben sich hier ebenfalls alle: Auch Ande. „Atare, guten Abend.“ Aryan sah seinen Bruder an. „Hast du kurz Zeit.“ Ande nahm seine Tracht und kam heran. Dann sah er Fira. Aryan ging in einen gegenüberliegenden Raum, der leer war. Fira sah eine Sitzecke. Mehrere geschlossene Schränke. Aryan schloß die Tür hinter sich, und Ande sah auf die erfahrene Schwester. „Fira.“ „Asaitesse aradete.“ Ande legte kurz seinen Arm um sie. „Kommst du uns besuchen.“ Fira hatte Tränen in den Augen. „Es tut mir leid, Ande. Ich wollte dich nicht stören.“ Ande hielt inne, und Aryan stellte die Stühle. Die drei setzten sich. Aryan erklärte: „Fira hat die Akai-Wache in der Beja um Hilfe gebeten. Ihr Vermieter hat sie bedroht, dringt während sie nicht da ist in ihre Wohnung ein, schreibt ihr bedrängende Briefe und hat gestern versucht, sie in seine Wohnung zu zerren. Hämatome am Arm. Sie hat das Schloß ausgewechselt, er ist trotzdem reingekommen. Die Akai-Wache hat es als Mietstreitigkeit eingestuft und angeboten, dass sie sofort gerufen werden kann, wenn es eskalieren soll. Ansonsten solle sie den Schlüssel innen stecken lassen über Nacht.“ Stille. Ande saß ein paar Momente reglos. Dann sah er zu Fira. Diese hatte Tränen in den Augen. Man spürte ihre Scham. „Sie haben gesagt, ich solle in ein paar Tagen mich wieder melden, wie es dann aussieht. Aber ich habe Angst, nach Hause zu gehen.“ Ande nahm sie still an sich. Legte einfach seine Arme um sie und nahm sie an sich. Ohne etwas zu sagen. Fira begann zu schluchzen. Ande legte seine Hand auf ihren Kopf. Fira weinte: „Was soll ich jetzt nur machen. Er hat gesagt, dass er sieht wie ich schlafe. Vielleicht hat er Kameras installiert. Er hat Blumen an mein Bett gestellt. Es ist so furchtbar.“ Ande nahm ihre beiden Hände, löste die Umarmung und saß jetzt ganz ihr zugewandt. Ernst sagte er: „Verzeih uns, dass wir dir nicht besser geholfen haben. Das ist bei weitem nicht genug, was die Kollegen getan haben. Ich werde mit ihnen sprechen. Und zwar eine längere Zeit.“ „Heute nacht.. gehe ich in ein Hotel.“ „Wir gehen jetzt rüber und schauen uns das zusammen an. Und wir finden einen guten Platz für dich heute nacht.“ „Ich muss.. unbedingt in die Wohnung, weil ich keine Sachen mehr habe...“ „Du kannst in die Wohnung, ich komme mit dir. Wohnt noch jemand anders in dem Haus?“ „Nein, es ist.. nur eine Wohnung, die er zusätzlich hat. Es ist in der Fera. Ich bin da aufgewachsen und ich... wohne dort lieber als auf der Edoa.“ „Okay. Ich hol dir eben ein item für unsere Abteilung, da haben wir alles, was wir brauchen.“ Fira war durchflutet von der Wärme des Noja. „Ja... danke Ande. Danke..“ Sie sah zu Aryan. „Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht gekommen bin.“ Aryan nickte. „Es ist gut, dass wir es jetzt wissen.“






Der Regen prasselte auf das Dach. Sturmböen peitschten gegen die Fenster. Die Wände weiß gekalkt, an einigen Ecken bröckelte der Putz. Der Infusionsständer aus Kunststoff. Das Bett wirkte schmal. Ein Ventilator summte. Christine spürte die Schmerzen. Sie brannten wie Feuer. Aber es war erträglich: Etwas machte es erträglich. Eine Decke. Medikamente. An ihrem Bett standen zwei weißgekleidete Nonnen. Peter Agial, der Sicherheitsleiter des Uno-Konvois stand neben ihnen. Christine wurde nur sehr langsam wach.


Die Sonne war sanft. Schien bei ihr zu sein. Irgendwann war Christines Stimme wieder da. Peter Agial hatte Christines Hand genommen. „Ich bin hier.“ Christine sagte rauh: „Was ist passiert.“ „Wir sind im Sturm gewesen mit dem Hubschrauber. Erinnern Sie sich?“ „Nein. Ja.. plötzlich...“ „Wir haben ihn landen können. Das hier ist eine Missionsstation, Dave hatte den Landeplatz gesehen. Aber wir sind zu nah an die Bäume gekommen. Sie haben sich an den Ästen verletzt.“ Christine sah sich im Raum um. „Ich.. kann meine Beine nicht bewegen.“ „Die Beine sind verletzt, wahrscheinlich gebrochen. Die Schwestern haben sie provisorisch geschient und ruhiggestellt, aber wir haben im Moment keinen Arzt hier, und es ist überall Stromausfall. Sobald sich der Sturm legt, wird man uns ein Rettungsteam schicken. Sie ruhen sich jetzt einfach aus. Ich habe ihnen Morphium aus dem Notfallkoffer gegeben, wenn Sie noch mehr brauchen, sagen Sie Bescheid.“ Christine hielt die Hand des erfahrenen Sicherheitsleiters. „Es.. geht. Es geht, es ist gut. Wie weit sind wir noch von Windhoek entfernt?“ „Eine Stunde Flugzeit etwa. Wir müssen warten, bis der Sturm vorbei ist. Wir hatten keine Information darüber, dass das Wetter so umschlägt. Dave hat so etwas noch nicht erlebt sagt er.“ „Ist... noch wer verletzt?“ „Nein, der Baum ist durch das Fenster geschlagen direkt dorthin, wo Sie saßen. Es... tut mir leid.“ Der Blick des Sicherheitmannes war dunkel. Christine spürte eine leichte Müdigkeit. „Sowas... passiert.“ Das Schmerzfeuer loderte friedlich.


Unruhe. Rufe. Schritte. Christine konnte nichts sehen. Plötzlich kam die erste Angstwelle. Sie versuchte, ihren Kopf zu heben. „Was.. passiert..“ Niemand antwortete ihr. Dann war Peter Agial neben ihr. Schob das Bett vorsichtig weiter weg vom Fenster. Legte eine Decke auf Christine. Christine preßte: „Was..“ „Da landet noch ein Hubschrauber. Möglicherweise haben noch mehr Flüge Probleme bekommen. Wir wissen nicht, wie sicher er runterkommt.“ „Oh mein Gott. Stürzt er auf das Haus?“ „Ich lege eine Decke über Sie, falls es Glassplitter gibt oder Teile, die herumfliegen.“ Dave O´Reilly, der schottische Pilot, stand am Fenster und rief gegen den Sturm: „Christ!“ „Was..“ „Das ist kein Hubschrauber, das ist eine Riati!“ Christines Angst fauchte durch den Körper. „Was ist das.“ Eine Missionsschwester rief etwas. Der Sicherheitsleiter rief zurück: „Ist das ein Flugzeug?“ Der UN-Pilot schüttelte den Kopf. „Das ist ein Raumschiff.“ „Was?“ „Riati sind Hybridschiffe. Ich hab noch nie eines in echt gesehen, es gibt nur ganz wenige, sie sind.. unglaublich schwer zu fliegen.“ „Kann.. der hier runter kommen? Können die hier landen? Sieht man ob die Probleme haben?“ Dave sah nach oben. „Eine Riati bei dem Sturm.. die sind schon bei ruhigem Wetter unmenschlich schwer zu fliegen. Warum geht der nicht nach oben wenn er Probleme hat. Vielleicht hat er einen Triebwerksschaden. Aber dann direkt in diesen Sturm?“ Mit einem sogar durch den Sturm hörbaren Fauchen setzte das Schiff neben dem Helikopterwrack auf. Peter Agial hatte sich halb über Christine gelehnt. Sie mit einer Decke bedeckt. Aber der Raum blieb ruhig. Der Sturm toste weiter. Dave rief: „Alles gut, er steht! Ist ganz sauber gelandet.“ Christine öffnete die Augen wieder. Peter Agial erhob sich. Dave O´Reilly sah die Kennung des Schiffs. Er schüttelte den Kopf: „Das ist eine Militärmaschine.“ „Franzosen?“ „Nein. Naraita.“


Durch die offenen Türen hörte man, wie laut der Sturm geworden war. Der Regen machte die Fenster jetzt blind. Die Stimmen der Frauen wurden wieder lauter. Erneut Schritte. Peter Agial sprach auf Englisch. Christine schloß die Augen. Spürte eine tiefe Dankbarkeit. Sie konnte ihren Kopf nicht drehen. Aber sie hatte die Stimme schon erkannt. Wieder Schritte. Dann war Aryan Noja an Christines Bett. Christine sah durch einen Tränenschleier. „Odenei.“ Aryan Noja setzte sich ruhig und wie sanft neben sie und nahm ihre Hand. Christine sagte erstickt: „Wie.. ist das möglich.“ Aryan Noja sagte ruhig: „Wir hatten vereinbart, dass wir Sie morgens und abends einmal stellen, also indirekt oder wenn dies nicht möglich ist auch direkt schauen, wo Sie sind, erinnern Sie sich.“ Christines Hände zitterten noch. „Ja, natürlich, aber.. heute morgen.. war ja noch alles ruhig.“ Aryan Noja nickte nur. „Der Kollege hatte heute morgen Sie auf eine engere Beobachtung geschaltet.“ Christine presste: „Ich bin so froh.. dass Sie hier sind, nur gerade... hatte ich mich gerade erschreckt, wir dachten.. da stürzt noch ein Hubschrauber ab..“ Christine sah, dass Hagakei Adjadan neben das Bett trat. Wieder lächelte sie unter Tränen. Der Zyra legte sanft seine Hand auf Christines Kopf. „Hallo Frau Richter.“ „Ekaisse... eraite. Odano...“ Christine kannte den Dano der Adjadan, der mehrmals in Berlin zu Besuch gewesen war, um Tjeyendo Adjadan zu vertreten: Er war schon bei den Richters zu Hause zu Gast gewesen, bevor die Keayake in ihr Leben getreten waren. Der Yuka-Zyra lächelte ernst. „Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.“ „Alles.. ist so durcheinander. Ich glaube, ich bin noch nicht ganz bei mir.“ Peter Agial kam wieder herein und trat an das Fußende des Bettes. Sah auf Christine. Die UN-Anwältin sah die Erleichterung im Gesicht des Sicherheitsleiters. „Sie haben.. gute Freunde, Frau Richter.“ Christine lächelte wieder. Unter Schmerz. Unter Angst. Unter Geborgenheit. „Ja.“ Aryan Noja hatte Christine einen Zugang gelegt. Hakagei Adjadan öffnete zwei Koffer. Aryan Noja schloß die Infusion an und begann, Christine zu untersuchen. Christine flüsterte: „Die Beine.. kann ich nicht bewegen.“ Aryan Noja hatte die Decken sanft angehoben. Hagakei Adjadan hielt kurz inne. Christine sah nicht, was sie sahen. Aryan Noja gab zwei Kommandos. Hinten bewegte sich jemand, den Christine nicht sah. Dann war der Denei wieder an ihrer Seite. Christine sah ihn an. „Wie schlimm ist es.“ Aryan Nojas Hand war sehr ruhig. Tastete sanft ihren Bauch ab. „Wir kümmern uns darum. Sie müssen nichts machen. Wie ist es mit den Schmerzen?“ „Es.. ist gut wenn ich mich nicht bewege.“ „Gut. Bleiben Sie noch ein bißchen zurückgelehnt. Genau.“ Der Denei tastete ihren Hals und ihr Gesicht ab. Hagakei Adjadan hatte eine Sauerstoffsonde ausgerollt. Der Sturm heulte erneut auf. Jemand trat an das Bett heran. Amai. Aryan Noja gab ruhige Anweisungen. Seine Hand umfaßte Christines Hand. „Sie schlafen jetzt und ruhen sich aus. Ich bin bei Ihnen. Wir bringen Sie in Ruhe und in aller Sicherheit nach Aiza in die Klinik. Dort werde ich Sie operieren. Wenn Sie aufwachen, sind Sie in der Krankenstation der Todai. Ich bin die ganze Zeit bei Ihnen.“


Joa hob den Blick. „Ja, bitte.“ Kedi Noja faßte zusammen: „Sie sind jetzt gestartet und über AC. Christine Richter ist eingeleitet, beatmet und kreislaufstabil. Vorläufige Diagnose: Trümmerbruch des rechten Schienbeins, Trümmerbruch des linken Wadenbeins, Trümmerbruch des linken Knies, dislozierte Oberschenkelschaftfraktur links, eine Einblutung in die Hüfte, die aber koaguliert scheint. Aryan fliegt sie direkt hierhin, erwartete Ankunft in 20 Minuten, sie kommt sofort in den OP.“ Stille. Der Sheya und Kedi Noja schwiegen ernst: Die Aufzählung der Verletzungen ließ fürchten, dass Christine Richter nie mehr richtig würde laufen können. Dann sagte der Sheya: „Wird Christopher Richter informiert?“ „Jano spricht gerade mit ihm.“



 
 
 

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