Märchen für Erwachsene: Cornelius Dyke oder eine Journalistin, die plötzlich über Glauben spricht.
- Petra Schrader
- 10. Mai 2023
- 5 Min. Lesezeit

Cornelius Dyke lächelte ganz fein. „Sehen Sie: Ich habe sehr lange das getanzt, was die CAS akrobatisches Ballett nennt. Sehr lange und sehr gerne. Heute bin ich dafür zu alt. Mit siebzig Jahren ist man auch außerhalb der CAS längst pensioniert, und die Leitung der Exerzitienhäuser ist für mich eine Aufgabe, aber keine Arbeit. Die Arbeit tun hier andere Menschen, die noch sehr viel mehr Ausdauer haben und mehr Kraft.“ Barbara Ister, Journalistin der New York Times, merkte, wie sehr sie von diesem alten, ruhig-offenen Mann fasziniert war und wie unwichtig ihr der eigentliche Artikel plötzlich war. „Wie.. würden Sie diese Aufgabe beschreiben, die Sie hier haben?“ „Ich bin da. Die Leute kennen mein Büro. Wenn jemand mit mir sprechen möchte, kann er das tun. Das Exerzitiensystem in der CAS ist sehr gut organisiert und verbreitet, es gibt sehr viele Exerzitienleiter und sehr viele Häuser: Ich kann nicht organisieren. Logistisch bin ich nicht begabt. Aber wenn es Exerzitienleiter gibt, die ein Gespräch suchen, wenn es Gruppen gibt, die nicht weiterkommen, wenn es Teilnehmer gibt, die einen neuen Blickwinkel brauchen oder einfach einen ruhigen Raum mit jemandem, der keinen Terminplan hat: Ich gebe weiter, was mich reich gemacht hat.“ „Wie sieht Ihr eigenes geistliches Leben aus? Beten Sie jeden Tag?“ „Möchten Sie etwas über das Beten hören, über Gott oder über mich?“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man jeden Tag beten kann. Eigentlich interessiere ich mich für.. Gesprächsarten mit Gott. Ansprecharten. Wie beginnen Sie?“ „Wenn Sie sich dafür interessieren, kann ich Ihnen zunächst sehr gute Texte empfehlen, mit denen meine eigenen Worte nicht konkurrieren können.“ Er griff zu seinem Ordner und zählte auf: „Riqué: Vom Sprung in offene Arme. Chassham natürlich: Selig die Anfänger. Dann deNino: Erst Entspannung, dann Gebet. Und ein sehr gutes und etwas neueres: Catherine Rhye, Von Hinwendungen zu Zuwendungen. Aber ich kann auch versuchen, eigene Worte zu finden. Der letzte Titel beschreibt es für mich am besten. Der Beginn eines Gebetes kann sein wie der Beginn eines ganz normalen Gespräches. Denn auch, wenn er vielleicht etwas Ungewohntes ist, ist er auf keinen Fall etwas Unnatürliches. Entweder, es gibt Gott nicht. Oder es gibt ihn doch: Dann kann man ihn auch ansprechen. Viele Menschen haben ein schlechtes Gewissen, weil sie länger nicht gebetet haben. Dann setzen sie sich hin und beginnen mit etwas, was in ihren Augen kompliziert ist oder zumindest Anstrengung erfordert. Vorbereitung. Disziplin. Jesus hat gesagt, wir sollten unsere Werkzeuge mit in den Tempel bringen, unsere Arbeit, unseren Alltag. Wir sollen also unkompliziert beten, natürlich beten und eine Beziehung in der Art und Weise knüpfen, in der wir es auch mit anderen Menschen tun.“ Cornelius Dyke griff zu Catherine Rhyes Buch. „Jeder hat eine andere Art, das zu tun. Catherine Rhye spricht aber von Hinwendung, und das ist der wichtige Punkt: Wir müssen uns zu Gott wenden. Nicht umgekehrt. Catherine Rhye schreibt zum Beispiel: “Wir können sofort wieder anfangen. Nichts spricht dagegen. Jedesmal, wenn wir ein Gebet beendet haben, vertraut Gott darauf, dass wir wiederkommen. Mit allem, was wir über Kinder und Eltern wissen, können wir in Demut und Freude sagen, dass Gott unsere Hinwendung nicht nur annimmt: Sie tut ihm gut.“ Die Journalistin schwieg eine Weile. Dann sagte sie leise: „Ich weiß nicht, ob das noch etwas mit meinem Artikel zu tun hat. Aber.. haben Sie sich niemals.. vor einem Gebet gedrückt, weil Sie Angst hatten, keine Antwort zu bekommen? Weil Sie nicht wieder da sitzen wollten, wieder und wieder, ohne etwas zu spüren?“ Cornelius Dyke schloß die Bücher und legte sie neben sich. „Ich weiß, dass es in Ihrer theologischen Welt eine dichte Verbindung von Gebet und Pflicht, von Gebet und Disziplin, Anstrengung und Leistung gibt. Die Menschen sind es nicht mehr gewohnt, einfach beschenkt zu werden. Aber um leicht zu beten, müssen wir von dem Gedanken der Anstrengung wegkommen. Setzen Sie ein Kind vor einen riesigen Geburtstagskuchen. Mit Schokolade und Smarties und vielen Kerzen zum Ausblasen. Niemand muß das Kind davon überzeugen, dass es von diesem Kuchen doch unbedingt etwas nehmen sollte, auch wenn es nicht will, denn es will natürlich. Ein Gebet muß ein Kuchen werden, eine Freude, eine Erleichterung im Leben, ein Höhepunkt, auf den Sie sich schon vorher freuen. Ist es das nicht, ist es noch Anstrengung, ist es mühsam, müssen Sie sich dazu zwingen, dann ist was faul am Kuchen. Wie oft wird in der Bibel von einem offenen Herzen gesprochen. Vertrauen Sie diesem Herzen, es weiß schon, wann es sich öffnen darf. Wenn es einen Gott vor sich sieht, der gut ist, warmherzig, zärtlich, tragend, liebevoll, fantasievoll, lebensbejahend und alles andere, was Sie so sehr an ihm brauchen. Finden Sie heraus, was das ist. Was Sie für einen Gott brauchen. Wie er aussieht. Und ob es der ist, den Sie so nennen. Auf den Ihre Gebete bisher gezielt haben. (Sie können Ihrem Herzen da nicht zürnen, dass es sich nicht öffnet.) Aber zwingen Sie sich nicht zu einer Anstrengung. Was hätte das zu tun mit der Liebe zu einem Vater und einem Schöpfer.“ Lange Stille. Barbara Ister legte ihre offenen Handflächen ineinander. Irgendwann sagte sie: „Sie lieben.. ihn sehr, oder?“ Cornelius Dyke guckte sehr warm. „Sobald ich weggehe, fehlt er mir furchtbar.“ „Das ist.. wirklich wunderbar.“ „Fühlen Sie sich zu einem Gebet gezwungen? Glauben Sie, dass er das von Ihnen erwartet?“ „Ja. Ja, das glaube ich schon.“ „Ein fauler Kuchen. Ich zitiere einen Freund und Kollegen: Wenden Sie sich nicht verdorbenen Lebensmitteln zu. Hinwendung ja, aber Hinwendung zu den Dingen, die Sie brauchen. Ich mache ein paar Vorschläge. Kraft? Freude? Geborgenheit? Anerkennung?“ Barbara Ister atmete aus. „Das ist alles.. sehr gut.“ „Was brauchen Sie. Was fehlt Ihnen? So tief, dass Sie es fast vergessen haben?“ „Ich glaube,.. dass ich vielleicht sehr viel Anerkennung brauche.“ „Das ist sehr gut. Da sind Sie sofort ganz in der Tiefe. Und in der zentralen Aussage der gesamten biblischen Texte: Du bist meine geliebte Tochter, an dir habe ich Gefallen gefunden. Sie müssen diesen alten Satz übersetzen. Gott hat Sie nicht irgendwie einfach erschaffen. Er wollte, dass es Sie gibt, unbedingt, er wollte, dass Sie so sind, genau so, mit jeder Zelle und jeder Reaktionsweise, in der Sie jetzt leben, und er hat etwas so Wunderbares geschaffen, dass selbst die Schöpfungsgeschichte herbe Mühe hat, es zu beschreiben: Am Anfang war der Geist. Sie wurden sozusagen schon geliebt, bevor es Sie überhaupt gab. Soviel sind Sie wert. Vielleicht hat diese Welt Sie dazu gebracht, dass Sie Ihren ureigensten, gottähnlichen, wunderbarsten Wert vergessen haben, aber auf eines können Sie sich verlassen: Gott hat ihn nicht vergessen. Er weiß sehr gut, was Sie wert sind. Ich zitiere eine weitere CAS-Annahme: Der heiligste Wert entspringt nicht dem Tun, sondern dem Sein. Sicherlich könnten Sie etwas Wertvolles tun, nehmen wir die traditionelle gute Tat, eine Aktion, Sie könnten etwas bewegen oder auch eine schlechte Handlung verhindern. Dann haben Sie etwas wertvolles getan. Aber dieser Wert ist nichts, er ist einfach nichts gegen die Größe des Wertes, den Sie dadurch vor Gott haben, dass Sie existieren. Ein Goldbarren ist etwas sehr wertvolles. Aber nicht dadurch, dass er etwas tut, er muß es nicht, besser noch: Er kann es gar nicht. Goldbarren, und ich zitiere meinen Kollegen noch einmal, hätten in einem Gebet kein Problem.“ Cornelius Dyke saß sehr ruhig. „Einer der ersten CAS-Autoren, der Anerkennung suchte und sie sich lange selbst versagte, hieß Paulo Malieri. Jahrelang hat er sich durch Schicksalsschläge gekämpft, durch eine Depression, durch zwei Krebserkrankungen und durch den Tod seiner Frau. Später hat er in seinem Buch davon geschrieben, wie er Gott irgendwann offen gefragt hat: „Warum hast Du mich eigentlich erschaffen?“ Und Gott hat geantwortet: „Ich konnte nicht anders. Ich hatte dich so lieb.“
Comments