Leseprobe Buch Teil 1: Naraita - das weiße Land des Wassers / Geschichten aus der Todai
- Petra Schrader
- 16. Jan. 2023
- 18 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Jan. 2023

Einleitungsinfo Leseprobe:
Schmökern im Winter
Leseproben und weiterführender blog: (Teil 1)
Modernes Märchen (Naraita - das Land des Wasser). Eine Liebesgeschichte.
Inhalt: Eine junge Frau aus Berlin auf der Suche nach einem Weg zu begreifen, dass sie eigentlich aus einer Königsfamilie stammt eines mächtigen Landes, das im Pazifik liegt,- unterhalb von Japan.
Dort lernt sie einen Mann kennen und lieben - einen Prinzen, der versteht, dass sie Angst davor hat, sich dem Land zu nähern: Und der auf einer Bank sitzt vor dem Schloss und einen Fluss bewacht. Der von seinem Älteren Bruder erzählt. Der eine leichte Tracht trägt und meist gute Laune hat. Der sagt: Ich bin der Jüngere. Während mein Ältester Sohn viel beschäftigt ist, sitze ich häufig am See. Doch ich kenne den König auch. Ob ich eine Waffe habe, verrate ich nicht.
Man sollte den jungen Mann nicht unterschätzen.
Von den ersten Begegnungen der jungen Frau, die ganz normal in Berlin aufgewachsen und dort zur Schule gegangen ist und langsam entdeckt, dass sie eine hochadlige Königstochter ist dieses Landes erzählt das Buch Naraita - ein modernes Märchen.
Langsam entdeckt die junge Frau, was dieses neue Land wirklich ist. Wie eine Monarchie, ein wirkliches Königreich auch mächtig sein kann und versteht Jahr für Jahr besser die Wurzeln dieses Landes,- seine Wege, seine Städte, seine Menschen, seine Abenteuer. Seine Art zu lieben, seine Art, reich zu sein, seine Art zu retten, zu helfen, einzugreifen in der ganzen Welt, zu schützen, seine Art zu feiern und auch zu heilen - schöpfend aus den Bildern der Mythen der Menschen, die in der Wiege der Menschheit, in der tiefsten Tiefe aller Träume, aller Seelen und immer neu wachsender Schönheit jeden Tag für die ganze Welt blüht: Mesopotamien, das Zweistromland, dessen Kraft in Naraita langsam an einen noch tieferen Ort führt, dem Wald der große Seele: Aroka.
Die untergehende Sonne tauchte das Sternviertel in einen warmen Samt. Brach die Farben des Blau, des Violett, Rot und des Schwarz. Färbte sie leichter und gleichzeitig intensiver. Wieviele dieser Abende hatte es gegeben. In Sommerwärme. In der wunderbaren Leichtigkeit des geschlossenen Viertels – Offenheit. Offene Türen. Offene Gärten. Spazierende Familien. Als Christopher Richter sich an den Gartentisch von Yoshia Manae setzte, lag der Heiligensee windstill und glatt. Auf dem kunstvoll geflochteten Tisch standen Kerzen. Christopher Richter spürte ein Zögern. Sah den Arzt, wie er ihn schon seit Jahren kannte – in einer Ausstrahlung von Sanftheit. Zurückhaltung. Freundlichkeit. Und Ruhe. Tiefere Ruhe, als viele Menschen verstanden. Christopher Richter war ein sehr guter Wahrnehmer von Ruhe. Er nickte nur: „Es ist sehr spät. Störe ich Sie?“ Yoshia Manae hatte eine Teekanne auf die Kerzen gesetzt. „Sehe ich so aus?“ Christopher Richter mußte lächeln. „Danke.“ „Nehmen Sie Platz. Zucker?“ „Nein, danke.“ Sonst war niemand zu sehen. Das Haus schien ruhig zu liegen. Christopher Richter bekam eine Tasse. Der GESA-Chefarzt setzte sich. Christopher Richter sah auf den See und trank den ersten Schluck. Sammelte sich. Dann sagte er: „Ich würde Sie gerne etwas fragen.“ Yoshia Manaes Blick richtete sich auf den Commander. Dieser sah den Arzt an. Die Kerzen gossen ein warmes Licht. Der Commander meinte: „Die Frage ist ungewöhnlich. Und vielleicht möchten Sie nicht auf sie antworten. Ich habe mir sehr gut überlegt, ob ich sie Ihnen stelle, und ich habe mich dafür entschieden, weil ich Hilfe brauche. Hilfe von jemandem, der sich in Naraita sehr gut auskennt. Viel besser als ich. Der mir einen sehr guten Rat geben kann. Erst wollte ich Keyo bitten. Aber er ist nicht da, und ich brauche den Rat noch heute abend. Außerdem glaube ich mittlerweile, dass Sie vielleicht... noch zurückhaltender sind, als ich sowieso schon annahm und dabei doch derjenige, den ich im Moment suche.“ Yoshia Manae sagte ruhig: „Wen suchen Sie.“ Christopher Richter sah den Arzt jetzt sehr ruhig an. „Ich suche jemanden, der kein Edoa-Visum hat.“ Yoshia Manae setzte seine Teetasse ab. Stille. Christopher Richter sah auf den See. Yoshia Manae hatte das Teelicht abgedeckt. Dadurch wurde das Licht gestreuter und etwas heller. Wärmer. Christopher Richter atmete tief aus. Dann sagte er: „Es tut mir leid. Dass ich mit dieser Frage zu Ihnen komme. Denn ich vermute, dass Sie eigentlich nicht möchten, dass diese Frage gestellt wird. Dass dies die Art ist, in der Sie hier leben und arbeiten. Und jetzt frage ich es doch. Sind Sie adlig?“ Yoshia Manae sagte einfach: „Ja.“ Christopher Richter nickte nur. Yoshia Manae sagte: „Ich habe keinen Grund, es zum Thema zu machen. Aber es gibt auch keinen Grund, es zu verbergen.“ „Ich habe gedacht, dass Keyo.. ich meine, er hätte mir das signalisiert. Ohne es zu sagen. Aber irgendwie.. hat er es mich wissen lassen.“ „Keyo und ich sind die beiden schwarzen Schafe unserer Familie. Alle unsere Tanten hassen uns.“ „Sie.. sind verwandt?“ „Nein. Seine Tanten hassen ihn, meine Tanten hassen mich.“ Christopher Richter sah in das Gesicht, das er schon so gut kannte. Es sah noch genauso aus. Fast leise sagte er: „Sind Sie ein Adjadan?“ „Nein. Meine Mutter war nicht adlig, sie wurde in Naraita geboren, hatte aber deutsche Wurzeln. Ihre Name war Manae Fechter. Sie hat mir zusätzlich den Namen Andreas gegeben. Mein naraitischer Vorname ist Yoshia, ich bin ein Kamé. Keyo ist ein Adjadan. Auf unseren Wegen hier in Deutschland haben wir aus Sicherheitsgründen die adligen Namen abgelegt.“ Christopher nickte. Yoshia Manae sagte: „Keyo und ich kennen uns schon sehr lange. Unsere Lebenswege sind ungewöhnlich. Nicht jeder ist glücklich darüber. Wir schon. Ich bin sicher kein typischer Rangträger. Ich bin gerne Arzt, und ich bin auch gerne Arzt in einem Unternehmen wie unserem. Mit den Menschen, mit denen wir hier zusammen leben. Aber ich tue auch noch andere Dinge. Lebe auch noch in einer anderen Welt. Diese Welt bleibt vor den Toren meines Hauses, wenn ich hier sitze und ruhe. Aber ich kann auch in sie zurückkehren. Sehr schnell, wenn nötig. Was ist passiert.“ Christopher Richter saß ruhig. Dann sagte er: „Es geht um meine Nichte, die sich im Moment mit ihrer Freundin in Naraita als Touristin aufhält. Keyo hat ihnen bei der Reise geholfen, und eigentlich würde ich mich jetzt an ihn wenden, aber er ist im Moment nicht da, und ich möchte tatsächlich nicht bis morgen früh warten.“ „Hat sie Probleme bekommen? Wo ist sie, in Aiza?“ „Ja. Probleme... vielleicht nicht in dem Sinne. Ich muss kurz ausholen. Meine Schwester hat vor 18 Jahren in London einen Mann kennengelernt und eine Beziehung zu ihm begonnen, die nur kurze Zeit dauerte. Diese Beziehung stand unter einer großen Belastung. Kirahe hat am Ende Angst vor diesem Mann gehabt und vor allem auch vor seiner Familie. Ich habe ihn nie kennengelernt und wußte auch sonst nichts von ihm außer, dass er auch Pilot war. Nach der Trennung erfuhr Kirahe, dass sie schwanger war. Sie hat jeden Kontakt abgebrochen und diese Schwangerschaft dem Vater nicht mehr mitgeteilt. Kurz danach kam er bei einem Unfall ums Leben. Als Abeia elf Jahre alt war, hatte meine Schwester einen neuen Partner, mit dem sie auch zusammenzog. Abeia hat sich in ihrer Freizeit viel mit Tanzen beschäftigt, hat sehr verschiedene Schulen und Stile ausprobiert, aber sie war von der naraitischen Agane völlig fasziniert und hat schließlich auch einen Agane-Lehrer hier in Deutschland gefunden. Dieser Lehrer hat sie und ihre Freundin sehr intensiv gefördert und beiden dann geraten, sich für ein Stipendium zu bewerben, die wohl in Einzelfällen auch an Ausländer vergeben werden. Die beiden haben sich an die Vorbereitung der Unterlagen gemacht und sind dann zu Keyo gegangen, um ihn zu bitten, das zu übersetzen. Keyo hat dann gesagt, dass schriftliche Bewerbungen gar nichts bringen, die müßten vor Ort sein, einen Kontakt bekommen und dann vortanzen. Er hat ein paarmal telefoniert, und dann hatte er eine Schule, in der in der Zeit der Ferien hier ein Kurs angeboten wird, dem ersten Anschein nach wohl auch eine sehr gute Schule, aber der Kurs begann schon Montag. Keyo hat mich gefragt, ob er das machen soll, wir haben da.. ein paar Sätze, die wir auch in Einsätzen nehmen, das ist.. fast nonverbal. Und natürlich hatte ich nichts dagegen, sie ist volljährig, Naraita ist ein sehr sicheres Land, auch in der Öffentlichkeit, und es war für mich auch etwas sehr Besonderes, als ich zum ersten Mal nach Aiza gekommen bin. Ich habe zwei gute Freunde, die direkt in Aiza wohnen und von denen ich sicher war, dass sie die Mädchen von Flughafen abholen und auch sonst gut betreuen. Aber Keyo meinte, das würde bei solchen Einladungen von der Schule organisiert. Und dann hat Keyo gesagt, sie sollen innerhalb von drei Stunden ihre Koffer packen, heute abend würde noch eine Maschine gehen, und er würde in der Zeit die Tickets und zwei Visa besorgen. Da waren die beiden völlig aus dem Häuschen. Ich habe Keyo noch gefragt, ob er das so einfach kann mit den Visa, und die Flüge nach Naraita sind auch nicht gerade bekannt dafür, Restplätze zu haben, und er hat gesagt „ich tus einfach.“ Das ist ein ganz alter Satz zwischen uns beiden, haben wir damals immer vor der Planung von B-Fronten gesagt: „Können wir den anwinkeln?“ „Wir tuns einfach.“ Dann haben die beiden Mädchen im Höllentempo ihre Sachen gepackt, Keyo hat sie sorgfältig instruiert, vor allem über Sicherheit gesprochen, über die Strände und Schwimmen, und dann habe ich sie zum Flughafen gefahren. Als sie schon im Flugzeug saßen, war meine Schwester wieder erreichbar, und ich habe ihr erzählt, was passiert war. Daraufhin ist sie sehr aufgebracht und wütend geworden, hat mich minutenlang nur angeschrien. Natürlich hatte ich damit keinesfalls gerechnet. Sie hat mir dann erzählt, dass Abeias Vater aus Naraita kam. Dass er nicht wußte, dass es Abeia gibt. Und dass meine Schwester besonders die erste Zeit nach seinem Tod in großer Angst davor gelebt hat und tatsächlich noch immer lebt, dass Naraita sie findet. Und sie dafür zur Rechenschaft zieht, dass sie das Kind verheimlicht hat. Dass sie gezwungen wäre, nach Naraita zu gehen. Zu dieser Familie. Auch da hat sie mir erstmal nicht erzählt warum. Erst ganz am Ende hat sie mir erklärt, dass es um eine adlige Familie geht. Dass dieser Vater ein adliger Rang war. Dass es zwar stimmt, dass er ums Leben gekommen ist. Dass es aber nicht stimmt, dass er keine Familie hat. Keine Familie, die.. nicht sehr genau wissen wollen würde, dass es da ein Kind gibt dieses Mannes.“ Yoshia Manae saß plötzlich ganz reglos. Christopher Richter konnte sich denken, warum: Wahrscheinlich gab es in Naraita nicht am laufenden Band adlige Ränge, die in jungem Alter starben. Der Commander atmete aus. „Meine Schwester sagt, und ich habe keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass der Name dieses Mannes Aneo Maeda Amaterai war.“ Stille. Ein paar Sekunden geschah gar nichts. Dann atmete Yoshia Manae aus. Ein paar Momente sah er auf den See. Ayesha abe amai. Die GESA. Ein See in einem fremden Land. Christopher Richter saß reglos: „Abeia weiß davon noch nichts. Sie hat mich vorhin angerufen, stand an einer großen Strandpromenade in Aiza und ist.. glücklich. Meine Schwester wollte sie erst sofort zurückholen. Wir wissen jetzt, dass die Schule, die Keyo ausgesucht hat, eine Agane-Schule ist, die einen Ferienkurs für Stipendiaten anbietet. Bis vorhin hatte ich nicht verstanden, wie er sie da reinbekommen hat. Aber meine Schwester hat Angst vor den Daten, die durch den Visumantrag oder bei Personenkontrollen auftauchen und dazu führen könnten, dass die Todai auf meine Schwester aufmerksam wird. Ich habe ihr das jetzt erstmal ausgeredet. Ich habe ihr klargemacht, dass wir das Abeia nicht vorenthalten können. Sie ist jetzt 19 Jahre alt und hat ein Recht darauf, mit ihrer Familie dort Kontakt aufzunehmen, wenn sie das möchte. Auch gegen den Willen meiner Schwester. Natürlich aber möchte ich meine Schwester nicht gefährden. Für den Moment suche ich jetzt jemanden, der unsere ersten Schritte mit begleitet, damit dort kein Fehler entsteht, den wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verstehen. Meine Schwester möchte natürlich, dass Abeia sofort wieder auf deutschen Boden kommt.“ Yoshia Manae hatte sein Handy in der Hand und war bereits dabei, etwas einzugeben. Dann legte er es vor sich und nickte: „Es ist zum Glück nicht nötig, diesen Schritt zu entscheiden, denn es geht ja nicht um einen Sorgerechtsfall. Sie ist eine erwachsene Frau. Niemand wird sie zu etwas drängen. Schon gar nicht, was Ihre Schwester wohl fürchtet, mit staatlicher Gewalt. Adlige Familien gehen auf ihre Ayesha traditionell einladend und behutsam zu, geben ihnen Raum und Zeit. Ich wüßte nicht, dass es je eine Ayesha der Hochajani gab, aber ich wage die Zusicherung, dass die Hochajani hier keine Ausnahme machen, sondern eher noch behutsamer sein werden. Es ist richtig, dass adlige Ränge und erst Recht die Hochajani weitreichende Befugnisse haben in unserem Land. Entscheidung und Führung geschieht wie ich Ihnen nicht erklären muss anders als in Deutschland. Ihre Schwester hat deshalb Angst, und dies wird nicht in einem Gespräch zu ändern sein. Aber ich behaupte: Sie ist gegangen, ohne die Hochajani richtig zu kennen. Das alles wird man in Ruhe anschauen und verarbeiten können. Ob und wann Ihre Nichte dabei wieder deutschen Boden aufsucht, liegt alleine bei ihr und ist ihr jederzeit freigestellt. Allerdings gibt es jetzt ein anderes Problem. Die Information, dass ein Kind der Amaterai ohne hochprofessionellen Personenschutz in der Welt herumreist, ist ein Vermögen wert. Das ist nicht etwas, womit sich eine Einzelperson bereichern könnte. Sondern Volkswirtschaften. Für sowas würden Länder auch zusammenarbeiten. Geheimdienste, Systeme, Netze. Die Information könnte zur Bereicherung benutzt werden, zur Erpressung, zur Verhandlung unter Druck in zum Beispiel einer laufenden Linie der Heze oder als Rache. Ihre Nichte braucht Schutz. Ich sage Ihnen, was ich jetzt tun werde. Im Moment ist Ihre Nichte in Gefahr. Ich besitze keine ausreichende Fachkunde, aber ich vermute, vor allem das Telefonat, das Ihre Schwester mit Ihnen geführt hat könnte eine sogenannte Aufbrechung herbeiführen, wie die Analytik dazu sagt. Auch weitere Aufbrechungsstränge sind möglich. Ruhende Überwachungs-netzwerke verschiedener Organisationen haben möglicherweise bereits reagiert. Dies kann jederzeit akut werden, auch innerhalb von Naraita. Ich muß daher nun so schnell wie möglich die Keayake informieren, die für den Schutz der Amaterai zuständig sind. Dabei darf dieser Anruf keine erneute Aufbrechung provozieren. Zwar habe ich ein gesichertes Telefon, aber wir brauchen hierfür nochmal eine ganz andere Sicherheitsebene. Ich versuche daher jetzt bereits, durch einige Umwege zu erreichen, dass die Keayake mich direkt aus der Todai und damit von einer hochgesicherten Leitung zurückrufen. Vor aller diplomatischer und behutsamer Hilfe und Kontaktbahnung muss Ihre Nichte jetzt sofort bei den Ränge bekannt werden, die die Aufgabe haben, sie zu schützen. Ihre Nichte muss so identifiziert werden, dass man weiß, wer sie ist, wie sie aussieht, wo sie sich im Moment befindet. Das ist die Basis. Ich wohne hier auch anders als andere Ränge, aber das ist mit meinem Personenschutz sehr genau abgesprochen und aufgestellt. Ich bin verborgen, technische Hilfen sichern dies ab, auch zum Beispiel diesen Ort hier gegen externe Überwachung, und ich habe Übung darin, wie ich mich bewegen muss. Ich habe einen Satellitenplatz, einen Sender, ein Notsignal, und so kann ich sofort Hilfe bekommen, wenn es nötig werden sollte. All das hat Ihre Nichte nicht. Sie braucht jetzt sofort eine Basis. Später kann in Ruhe geklärt werden, ob Ihre Nichte wirklich eine Hochajani ist, aber unabhängig davon reicht es schon aus, wenn jemand von sehr spezialisierten aggressiven Diensten und terroristischen Netzwerken das nur für möglich hält. Ich kann deshalb nicht so vorgehen, dass wir jetzt erstmal in Ruhe zusammen nach Aiza fliegen und mit Gesprächen beginnen. Sondern die Keayake müssen umgehend wissen, dass es diese junge Frau gibt, die sehr wahrscheinlich zu ihren erstrangigen Schutzrängen gehört und die wohl mitten in einer Aufbrechung steht. Alles andere wäre absolut fahrlässig. Ich gebe Ihnen mein Wort: Ich tue dies im Interesse Ihrer Nichte, nicht im Dienst der Hochajani.“ Christopher Richter saß konzentriert. „Ich verstehe. Das war mir nicht klar.“ „Als nächstes werde ich aber gleich meinen Familienführer kontaktieren, und dann werden wir parallel versuchen, für den weiteren Weg Ränge zu gewinnen, die ein weiteres schnelles und drastisches Vorgehen erstmal abmildern können. Ränge, die auf das Erleben und Verstehen Ihrer Nichte und auch Ihrer Schwester Rücksicht nehmen. Aber einen solchen Weg kann ich nicht alleine verantworten, und ich kann die Linie auch gar nicht selbst führen. Ich denke, wir brauchen hier eine sehr hochrangige Frau. Wen wir darum bitten, muss ich mit meinem Familienführer überlegen, aber ich fände es ganz ideal, wenn es gelänge, die Nea der Todai zu Hilfe zu bekommen, das ist Amea Harada. Sie ist genau für solche Fälle, Bitten und Kräfte da, und sie ist sicher in der Lage, sofort ein Netz von anderen Rängen zu finden, die in diese Linie mit hineingehen und uns helfen.“ Christopher nickte. „Ich nehme an, die Informationen, die Sie den Keayake geben möchten, werden dort auch sofort an.. höhere Stellen finden.“ Yoshia sagte: „Ja. Ich vermute, dass ich zunächst vom diensthabenden Zentralenrang der Keayake zurückgerufen werde. Diesem werde ich mitteilen, was ich weiß. Es wird dann sicher sehr schnell so sein, dass sich unmittelbar die höchsten Führränge der Keayake einschalten. Dass ein solcher Schutzrang völlig ungeschützt auftaucht und dann auch gleich möglicherweise in großer Gefahr ist, braucht eine sofortige und sehr hochrangige Reaktion sowohl von den Keayake als auch von Seiten der Nai. Diese Ränge stehen für solche Fälle bereit und werden dann innerhalb weniger Sekunden, noch während ich telefoniere, mit in die Linie hineinalarmiert werden. Faktisch haben wir es hier schon fast mit einem weißen Alarm zu tun. Zumindest ist das eine Stufe davor. Dabei wird es zunächst nicht um Erklärungen gehen oder um Hintergründe, sondern erstmal geht es darum sofort abzuklären, ob es schon eine Aufbrechung gegeben hat. Das kann nur die Nai. Alles andere kann man danach sehen.“ Christopher saß reglos: Er führte ein naraitisches Unternehmen. Er kannte die Rechtsstrukturen des Landes. „Es tut mir leid, wenn ich.. Sie mit diesen Informationen in Schwierigkeiten bringe. Oder Keyo.“ „Wir werden uns erklären müssen, vor allem Keyo, der hier völlig ohne das zu wissen Ihre Nichte in diese Gefahr gebracht hat, denn er hat offensichtlich ein ata-Signum ausgestellt. Zwar könnte er auch über ein Heze-Visum versucht haben, aber sein Rang in der Heze ist zu niedrig, als dass er das selbst und damit so schnell entscheiden kann wie an diesem Abend, außerdem gibt es dafür keine Begründung, denn Heze-Visa werden nur linienbezogen vergeben. Viel eher wird er ihr ein ata-Visum ausgestellt haben, also ein Visum, mit dem sie speziell in Aiza einreisen kann. Damit aber muss er Ihre Nichte als Gast seiner Familie avisieren. Protokollarisch darf er das nur, wenn sie auch entsprechend begleitet wird - dass er aber hier war und dennoch ata avisiert bedeutet in unseren Gesetzen, dass er für sie persönlich bürgt. Inhaltllich ist damit gemeint, dass er sagt, ich kenne diesen Menschen, ich weiß, wo er herkommt, und wenn etwas passiert, geht das auf genau meine Kappe. Auf dem Visum ist dann tatsächlich sein persönliches Signum verzeichnet. Und das wird natürlich den Leuten, die sich das hier jetzt angucken, nicht verborgen bleiben. Im Gegensatz zu Ihrer Schwester habe ich überhaupt keine Sorge vor der Shijoa. Sondern ich bin sehr froh, dass Sie gekommen sind.“ Das Handy klingelte.

Glück. Pures Glück. Abeia saß mit Henriette auf der Piermauer, sah auf den Strand und lachte. Wie konnte das sein. Wie konnte alles so anders sein. Wie konnte es in Europa so viel weniger Farben geben. Soviel weniger Duft. Auch in Deutschland gab es einen Strand. Was war anders. Henriette lehnte sich an ein Schild, so dass sie gleichzeitig auf die langsam untergehende Sonne und die elegant gebauten dunklen Häuser an der Promenade sehen konnte. Im Deutschland wären jetzt die Neonleuchten über der Straße angegangen. In Naraita tauchte die Stadt in ein viel wunderbareres Licht: Die Straßenbeleuchtung war farbig. Auf den Terrassen der Bars und Cafés wurden Feuer angezündet, in den Fenstern flackerten Kerzen. Um die in metallenen Ständern geschichteten Holzfeuer waren Kork- und Rattansitzecken eingerichtet. Naraita saß näher am Boden. Alles war wunderbar anders. Elegant und gleichzeitig wunderbar gemütlich. Henriette sah auf Abeia. Das Gesicht der 19jährigen war gelöst. Und noch etwas war gelöst: Abeia hatte in einer wie unbewußten Bewegung ihr Haargummi abgenommen. Die Haare öffneten sich und fielen über die Schultern. In Deutschland verbarg Abeia, wie sie aussah. Nahm sich zurück. Und plötzlich spürte Henriette, dass Abeia hierhin paßte. Dass sie anders war als die anderen Mädchen am Winterthur-Kolleg. Im selben Moment sah Henriette den Mann, der auf einer der Terrassen saß. Mit anderen Männern und Frauen. Mehrere Paare. Der Blick des Mannes war auf Abeia gefallen
Das Feuerholz knackte und verband sich mit dem Rauschen der brechenden Wellen zu einer wunderbar ruhenden Melodie: Die Sonne ging unter. Auf einem großen Batia-Holztablett wurden Tapas serviert. Regiedo Harada nahm das Tablett und verteilte die Tapas weiter. Nejae lächelte, als er ihr Garnelen vorlegte: Nejae liebte sadea, die in einem Kräuterbett gebratenen winzigen Garnelen. Esaja bekam einen winzigen Pilzauflauf. Aryan Noja hatte sein Glas wieder abgesetzt. Saß plötzlich reglos. Regiedo und Kiyohara reagierten sofort. Es kam nicht oft vor, dass Aryan Noja reglos saß. Niemand unterbrach das Gespräch. Die Frauen spürten gar nicht, dass sich etwas änderte. Kiyohara sah zu Bario Akema, dem Bakyo, der die Wache von Aryan und Nejae führte. Im Gegensatz zu den Anai, die etwas weiter entfernt standen, saß Bario an einem der Tische. Er sah den Blick seines Deno sofort, schien aber selbst nicht alarmiert, obwohl er in Aryans Blickrichtung sah. Kiyohara und Regiedo sahen nicht, was Aryan sah. Sahen auch kein Zeichen ihres Chefs. Keine Art der Alarmierung. Nicht mal ein Blickkontakt. Aryan sah direkt hinter sie. Kiyohara setzte sich unmerklich anders. Regiedo stellte das Tapas-Tablett ab. Die beiden Führränge der Keayake wechselten einen Blick. Dann gab Regiedo Bario eine minimale Standby-Geste. Die Handbewegung, so minimal sie war, entging Aryan nicht. Er sah auf und sah, dass die beiden Keayake alarmiert waren. Aryan nahm sein Glas wieder und sagte nichts. Regiedo und Kiyohara wechselten einen weiteren Blick. Die beiden Bedienungen kamen wieder heran und brachten die geeiste Kokosnußmilch. Legten neues Besteck. Brachten Unruhe an den Tisch. Aryan hatte einen Schluck getrunken. Sah wieder Richtung Promenade. Dann sah er zu Regiedo und danach zu Kiyohara. Aryan setzte das Glas ab. „Entschuldigt ihr uns kurz.“ Er sah zu Regiedo. Die Frauen sahen auf, und Aryan und Regiedo erhoben sich. Die Bedienungen trugen weiteren Tabletts zu den Tischen auf der hinteren Terrasse. Aryan ging bis in das Innere des Restaurants, das von außen nicht einsehbar war. Die teuren Holzböden dufteten wunderbar nach Kagi-Harz. Aryan stellte sich an eine Säule, und Regiedo trat neben ihn. Sah jetzt, wen Aryan angeguckt hatte. Ein paar Sekunden herrschte Stille. Dann sagte Aryan: „Wer ist das.“ Regiedo blickte ruhig. Dann sagte er: „Die Dunkelhaarige?“ Aryan nickte und nahm sein Telefon: Das Diensthandy eines Keto war ein Hochleistungsrechner. Regiedo sah, wie er das Handy hochhielt, das Bild fixierte und eine Markierung setzte. Die Daten wegschickte und dann einen Anruf wählte. Er bekam sofort Kontakt. „Enare atayika. Kannst du mir da bitte mal ein GAB ziehen?.. danke.“ Aryan stand schon wieder reglos. Nach einigen Momenten sagte der Keto nur: „Danke.“ Er ließ das Handy sinken und stellte es auf Warten. Regiedo sah ihn an. „Was ist mit ihr?“ „Sie ist nicht im GAB.“ Stille. In der Datenbank der Bürgerbehörde GAB waren alle Paßfotos von Naraita gespeichert. Die Frau vor ihnen war in Naraita nicht registriert. Aryan Noja stand ruhig. Sah unverwandt auf die junge Frau. „Sie ist adlig.“ Stille. Regiedo schaute zu Abeia. Nahm sie wahr. Die beiden Keto standen und beobachteten sie. Regiedo meinte: „Eine Ayesha, meinst du?“ Aryan stand noch immer still. Wie reglos. Dann legte er seine Hand auf den Tisch. „Das ist eine Amaterai.“ Schwere Stille. Regiedo Harada stand nur. Die Meldung der Keayake-Zentrale war überfällig. Also gab es Unruhe. Dann summte Aryans Handy. Und tatsächlich stand jetzt nicht mehr Kedi Nojas Zeichen in der Leitung. Inetai Noja war der Atea-Rang der Spätschicht. Aryan meldete sich. „Ekitai.“ Inetai Noja klang sehr ruhig. „Das hast du gut gesehen.“ „Wißt ihr schon was?“ „Abeia Richter, Einreise gestern mit Start in Berlin. Geboren 02.11.98, deutsche Staatsangehörigkeit, gemeldet in Berlin. Vater nicht bekannt. Mutter Kirahe Richter. Geburtsdatum stimmt überein. Das ist Kirahe.“ Inetai Noja atmete aus. Aryan Noja sah reglos auf die Promenade. Abeia. Ein Name aus der tiefsten Aroka, dem Herzen der Awakai. Auf einem Touristenvisum aus Deutschland. Inetais Stimme brach: „Sie war schwanger, als sie ging. Das ist Aneos Tochter.“ Stille. Aryan nickte: „Ja.“ Tastenklicken. „Sie hat ein ata-Visum der Adjadan.“ Wieder Stille. „Der Adjadan?“ „Keyo Adena.“ Aryan sah auf das Ufer. Inetai gab weitere Tastenkommandos. Über das Entscheidende fiel kein Wort. Inetai Noja war niemand, der Anweisungen brauchte. Er hatte einen Satellitenslot auf Abeia gesetzt. Sandte einen Einsatztrupp los. Ließ zwei zivile Schutzwagen vorfahren. Und sandte die Liniendaten zur Shijoa. Regiedo und Aryan standen ruhig. Beobachteten die beiden jungen Frauen. Bario kam heran und trat zu seinem Keto. Ohne zu wissen warum gab er ihm das, was er aus dem Keayake-Wagen zu holen angewiesen worden war: Einen TRA-Chip. Aryan nahm ihn. „Danke.“ Nickte, und Bario verschwand wieder. Aryan und Regiedo sahen sich um. Regiedo blckte zur Treppe, und Aryan nickte. Die beiden stiegen die Treppe hoch und kamen in einen kleineren, leeren Gastraum. Regiedo stellte sich an die Tür. Aryan öffnete ein Fenster und sah auf die Pier. Im Raum war es ganz ruhig. Ein TRA-Mikrochip war ein winziger, in gereinigtem Keratin liegender Sender. Er trug eine Fibra-Umhüllung, die in der Haut eine winzige Verletzung machte. Die Fibra-Umhüllung sank tief ins Bindegewebe und löste sich dann auf. Ein so platzierter Sender war jahrzehntelang funktionsfähig. Der Sender konnte mit dem Hauptsatelliten verbunden werden, so dass der Träger auch bei schlechten Satellitenverhältnissen immer geortet werden konnte. Jeder adlige Rang trug einen TRA-Sender. Noch gab es keine genetische Bestätigung dafür, dass die Frau wirklich eine Amaterai war. Der Shijo musste nun entscheiden, ob sie dennoch ohne ihr Wissen einen Sender platziert bekommen sollte. Und dann musste jemand den Sender platzieren. Aryan sah auf dem Monitor seines Handys, dass Himei Noja sich die Daten ansah. Einige Momente kam keine Reaktion. Im Linienverlauf erschienen neue Daten: Inetai Noja hatte parallel die Nai in die Linie geholt, und der Deno der Nai hatte schon innerhalb von Sekunden die erste Aufbrechung gefunden. Die Aufbrechung war 18 Stunden alt. Aryan stand reglos. Die junge Frau war in akuter Gefahr. Selbst auf naraitischem Boden waren möglicherweise schon Kräfte in der Nähe. Kedi Nojas Signum erschien: Der diensthabende Leitende Zyra erweiterte den Raum der Keayake, die Aryan und Nejae begleiteten und wies in der Szene einen neuen Schutzrang aus. Da die von der Todai losgesandten Ränge noch nicht da waren, übernahmen die vor Ort anwesenden Keayake die sofortige Umstellung des Raums. Inetai Noja zog den Atea der Anai in die Linie. Kiyohara bekam eine Linienkopie auf sein Handy. Auf Aryans Handy erschien die Kopie des Hauptmonitors, auf dem die Zentralenränge bereits einen taktischen Raum um die junge Frau aufstellten. Die Personen der Umgebung wurden überprüft. Das Atea-Signum der Anai erschien in der Linie: Muria Noja. Er wies seine Leute an, die Frauen in die Schutzwagen zu bringen. Auch Kedi Noja hatte dies für Nejae Yamatai angewiesen. Kiyohara Noja tat etwas, das für Firo typisch war: Er, der in der Szene zur Zeit nur ein Schutzrang war und kein aktivierter Deckrang, ging nach hinten, noch hinter die Formation der Anai. Niemand hinderte ihn. So konnte er die Frauen zu den Wagen begleiten und gleichzeitig die gesamte Szene überblicken. Himei Nojas Anruf erschien. Aryan meldet sich: „Etaisse.“ „Markiert sie. Du schießt.“ „Abane assai.“ Aryan sah zu Regiedo, der noch immer in der Tür stand. Die Etage lag ruhig. Regiedo nickte. Aryan Noja nahm seine Waffe und entlud die Amytralinmunition. Dann legte er die Diode in eine Schusshalterung: Die Diode selbst war mit den Augen kaum zu sehen. Die Ummantelung würde vor dem Auftreffen auf die Haut abplatzen. Dies war ein sehr schwieriger Schuss. Mißlang er, war erst 48 Stunden später eine weitere Platzierung möglich, da das in der Ummantelung enthaltende Soranin zu einem Enzym abgebaut wurde, das eine erneute Abplatzung verhinderte. Ein dann gesetzter Schuss würde denjenigen erheblicher verletzen. Aryan sah auf Abeia. Er spürte klar, dass die verborgene Markierung notwendig war: Es war zu früh für einen direkten Kontakt. Die Frau war nicht bereit dafür. Während der Keto der Keayake seine Waffe hob, sagte er leise: „Hab keine Angst. Ich will dir nur helfen.“ Er spürte sich ein. Die beiden jungen Frauen lachten. Dann hob Abeia ihre Arme, um ihre Haar wieder zusammenzubinden. Das T-Shirt am Arm fiel etwas zurück. Der Arm von Abeia war frei. Aber der Leiter der Eria setzte die Sender seiner Schutzränge gerne an anderen Stellen. Er wartete. War jetzt ganz ruhig. Als Abeias Arm wieder herunterkam, war ein Sekundenbruchteil das obere Schulterblatt frei. Aryan schoß. Der Schuß war lautlos. Abeia lächelte. Aryan schloß das Fenster wieder. Wechselte die Munition der Waffe. Auf dem Handy erschien unmittelbar das Bild: Der Sender saß oberhalb des Schulterblatts und begann sofort zu senden. Abeia hatte nichts gespürt. Himei sagte in die stehende Leitung: „Sehr gut.“ Er gab sein Shijo-Signum ein. Und dann verband er das Sendersignal mit der teuersten, modernsten und leistungsfähigsten Optoelektronik der Welt: Die AMT-Ate-Hochfrequenzsatellitenkette von Naraita. Ein lautloser, unsichtbarer und unbeirrbare Fokus senkte sich auf Abeia, die noch keine Ahnung davon hatte, dass dieser Fokus sie Zeit ihres Lebens nicht mehr verlassen würde.
Leseprobe aus: Naraita - das weiße Land des Wassers. (Fantasy, alte und neue Märchen, Textatelier Volmarstein, Petra Schrader)
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