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Leseprobe Märchen für Erwachsene / Reflexionsedukation für Führungsränge: Vom Helfen.

  • Autorenbild: Petra Schrader
    Petra Schrader
  • 4. Apr. 2023
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Juli 2023



oder: Aroka. Der Wald der großen Seele. Was ist der Geist?


Die Terrassentüren standen weit offen. Der Abend war schon fast etwas kühl. Dennoch hörte man noch die Grillen zirpen. Kerzen brannten. Die Räume lagen ruhig und aufgeräumt. Ande und Abeia hatten noch die Küchendinge weggeräumt. Als Abeia in die offene Tür trat, sah sie, wie Aryan vor den Monitoren saß. Der Raum war ruhig. Er tat nichts, gab auch keine Anweisungen, sondern sah nur. Auch sonst war nichts zu hören. Auf verschiedenen Monitoren sah man Befehlszeilen. Auf einem davon glänzte Feuerschein. Irgendwo war etwas geschehen. Abeia spürte aber seltsam klar, dass es nicht um Naraita ging. Oder um eine Linie der Keayake. Es sah eher aus wie ein Nachrichtenbild. Oder ein Bild von Geheimdiensten? Sie sah nicht auf die Monitore. Setzte sich nur wie entfernt auf ein Sofa. Sah auf das Bild. Ihr Platz war klein. Was konnte sie schon tun. Und dennoch lag alles vor ihr. Dennoch war sie nah. Vielleicht würde es immer so sein. Aryan sah so schön aus. Er war ihr Mann: In manchen Momenten verstand sie es fast. In manchen Momenten war es zu weit entfernt. Dann sah sie ihn nur an und sah: Schönheit. Jetzt sprach Aryan doch. Aber er gab keine Anweisungen. Abeia wußte nicht, mit wem er sprach. Ande stellte eine neue Obstschale auf den Tisch. Jetzt nahm Aryan doch seinen Transponder. Begann zu sprechen. Abeia sah sofort zu Ande. Dieser machte eine beruhigende Handbewegung. Sie konnte sitzen bleiben. Er selbst schaute gar nicht zu den Monitoren. Stellte die Stühle richtig. Abeia verstand Aryans Anweisungen nicht. Irgendwann stand Abeia ruckartig auf.


Als Ande zu ihr in den Hauswirtschaftsraum neben der Küche kam, drehte Abeia sich sofort um. Spürte die Woge. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie begann, Handtücher zu falten und preßte: „Das ist so, wenn Frauen ihre Periode bekommen. Dann haben die schonmal Stimmungsschwankungen.“ Ande stand ruhig und gelassen. „Was man hier alles lernt.“ Abeia preßte: „Wo ist das. Was da ist.“ „Im Jemen.“ „Im Jemen. Ja. Blöd für einen, wenn man im Jemen ist. Ich bin ja da nicht.“ „Oh nein.“ „Ich bin in einem Garten mit Pool und umgeben von köstlichem Essen und habe ein wunderbares Bett.“ „Und genau so ist es auch richtig.“ „Und Aryan muss sich um meine Hormonschwankungen kümmern. Und deshalb kann er nur vor diesem Monitor sitzen.“ Sie wußte, dass sie so nicht sprechen sollte. Aber es ging nicht anders. Ande stand tief gelassen. Ernst und leicht zugleich. „Du hast keine Ahnung von dem, was dieser Mann vermag, wenn er an diesen Monitoren sitzt.“ Abeia spürte eine seltene Art von Wut. Oder war es gar keine Wut? War es Schmerz? War es etwas, das sie aufrechter stehen ließ. Sie guckte Ande genau an. „Und das ist es, was aus dem wird, was ich bin? Der exekutiv stärkste Keto der Todai sitzt in einem Haus und muss Nachtwachen schieben für mich? Während im Jemen die Menschen jämmerlich leiden? Nur weil ich zu blöd bin, einen normalen Beruf zu haben?“ Ande stand ruhig. Gelassen. Hielt ihren Blick. Immer wieder gab er Antworten, die Abeia nicht erwartet hatte. In aller Gelassenheit schaute er ernst. „Sei froh, dass ich kein Shijoa-Rang bin.“ Abeias Energie war an ihm wie abgeprallt. Ande stand sehr ruhig. Abeia preßte: „Ich..“ Andes Stimme hatte plötzlich einen Hauch Schärfe. Eine wunderbare Art von Schärfe: Eine warme. Kraftgebende. Haltgebietende. Erdende. „Es ist schwer, kontemplativ zu wirken. Viele Kräfte stehen dagegen. Außen und innen. Was du tust, ist schwer. Manchmal zahlt man einen Preis. So fühlt sich das an. Wenn Zweifel einbrechen. Weil man bestimmte Bilder hat von dem, wie es laufen soll. Wie es woanders läuft. Ja, du bekommst deine Periode, und das bedeutet schlicht: Du bist noch empfindsamer. Und manchmal heißt das: Es ist noch schwerer. Noch schwerer, das Richtige zu tun. Der Jemen ist einer der dunkelsten Orte, die es im Moment gibt. Sehr viele Menschen dort haben nichts. Sie befinden sich seit langer Zeit im Krieg, sie haben viel zu wenig zu essen, sie haben praktisch keine medizinische Versorgung. Und ja, es gibt auch Hilfsprojekte, verschiedene Organisationen und Länder, die dort punktuell aktiv sind und einige Menschen erreichen. Aber das Problem liegt tiefer. Es ist zutiefst systemisch. Im Jemen befindet sich keine vitale, halbwegs intakte energetische Heilsstruktur mehr. Die negativen Bedingungskreisläufe stärken sich gegenseitig. Krieg macht immer Not. Es war noch nie anders. Du musst verstehen, dass jedes Land, jeder Ort eigene innere Heilsstrukturen hat. Eigene Hilfestrukturen. Wie eigene Flüsse. Man kann natürlich Trinkwasser herbeischaffen, das sollte man auch, aber systemisch gesehen müssen diese Flüsse wieder vitalisiert werden. Und wenn man damit auch klein anfängt. Nichts kann das ersetzen. Hier geht es um Impulse. Hier ist jetzt eine Not komplex eskaliert, aber der wichtigste Punkt ist: Hier wird niemand helfen. Es ist zu weit weg. Es ist zu weit weg geographisch, es ist zu weit weg taktisch und zu weit weg politisch. Die internationale Öffentlichkeit schaut auf diesen Ort nicht. Das gibt es häufig. In Krisenregionen wird meist in der Hauptstadt geholfen und wenn etwas weiter weg geschieht, erfährt es keiner. Dort sind keine Journalisten, dort sind keine Beobachter, dort sind keine Transportunternehmen, man kann eh nichts machen, es ist nicht auf dem Radar. Es ist verborgen. Die lokalen Hilfequellen sind versiegt. Diese Menschen sind verloren. Sie sind äußerlich verloren und innerlich.“ Abeia stand reglos. Preßte: „Was... geschieht jetzt.“ „Was jetzt geschieht, zumindest von unserer Seite, entscheidet die Ekya.“ „Die Ekya?“ „Im Moment wird überlegt, wie man diesen Ort erreichen kann mit Soforthilfe und welche Schritte, die Hilfsimpulse beinhalten hier sinnvoll sind, systemisch balanciert und absicherbar. Es reicht nicht, Hilfsgüter abzuwerfen. Die Milizen nehmen diese an sich, sie erreichen die Bevölkerung nicht.“ Abeia schloß die Augen. Ande stand ernst. Abeia hatte Tränen in den Augen. Ande sagte ruhig: „Abeia.“ Sie sah ihn an. Noch immer spürte sie seinen Ernst. Ande sagte: „Wir werden den Menschen an diesem Ort helfen. Es gibt Wege dorthin. Aber diese Wege müssen da sein. Wir brauchen sie jetzt. Sie wurden vorher gebaut. Das braucht sehr viel Zeit. Es braucht Zeit auf diplomatischer Ebene, vor Ort, man benötigt Beziehungen, man muss Strukturen kennen, man muss Vertrauen aufbauen. Man kann dort nicht hinkommen und einfach irgendwas durch die Gegend werfen. Manchmal muss man auch mit Leuten kooperieren, die sicher andere Ziele haben und zudem gefährlich sind. Aber sie sind die Wege, und wir haben Ränge, die sich mit solchen Verhandlungen auskennen. Die Vermittler wollen Geld, und das bekommen sie, damit wir irgendwann an die Frauen und Kinder kommen und an die Kranken. Man braucht eine Hilfestruktur vor Ort, sei sie auch noch so klein und machtlos. Und dann braucht man die Aroka.“ Tiefe Stille. Ande sprach ruhig: „Diese Hilfestruktur muss vitalisiert werden. Sie benötigt Hilfen auf verschiedenen Ebenen, und sie braucht Wachstumsimpulse. Neue. Es geht hier nicht nur um diese Notsituation. Diese ist nur die obere Ebene. Selbst, wenn die Hilfe scheitert. Selbst wenn der Vermittler sich am Ende weigert. Selbst, wenn fast alle Hilfsgüter dann doch geraubt werden. Die Aroka war dort. Damit ruft sie die Flüsse wieder an die Oberfläche. Manchmal ist es nur ein kurzer Klang. Es dauert. Aber es ist etwas ganz Anderes, als wenn eine internationale Hilfsorganisation dort hinkommt. Es ist eine andere Ebene. Es ist auch eine Art des Vorgehens. Viele Hilfsorganisationen nehmen uns gar nicht ernst. Viele Diplomaten von uns werden in solchen Fällen entweder ignoriert, angegangen, ausgelacht oder rausgeworfen. Weil wir es einfach nicht so tun wie die anderen. Weil wir uns nicht an die Spielregeln halten. Weil man mit uns einfach nicht arbeiten kann. Weil wir eine Linie aufstellen, bei der ein Firo manchmal vor Ort, meistens digital sich diesen Ort lange angesehen hat. Lange. Und nach dem, was er dort sieht plant er. Er sieht die Wasserstruktur. Selbst, wenn die Linie in der Oberfläche scheitert; selbst, wenn alle Ressourcen verlorengehen; selbst, wenn wir unser Ziel nicht erreichen und wieder abbrechen oder auch rausgeworfen werden: Dann werden wir doch wirken. Wenn wir die Wasser haben. Wir waren dort, und zwar an einem ausreichend tiefen Einflußpunkt. An einem geeigneten Ort der Wasserstruktur. Es ist nicht nur so, dass andere Organisationen nicht ernstnehmen, wie wichtig die Wasserstruktur ist. Sondern sie nehmen sie erst gar nicht wahr. Daher verstehen sie unsere Entscheidungen nicht. Sie verstehen nicht, welche Entscheidungen wir treffen und in welchem Rhythmus und zu welchen Zeitpunkten wir sie umsetzen. Wir entfalten tätige, diplomatische und exekutive Kraft auf der Basis eines kontemplativen Bodens. Andere Länder kennen das nicht. Sie haben dafür kein Verständnis. Nicht nur, dass ihnen der Respekt dafür fehlt. Sondern darüberhinaus wenden sie sich explizit gegen diese Kraft. Sie halten sie für gefährlich und sinnlos. In ihren Augen ist es eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Es ist daher zu bekämpfen, und jeder, der sich dort engagiert, ist zu jagen. Denn er ist scheinbar gefährlich für das System, besonders dann, wenn die Ressourcen knapp sind. Und aus der Sicht von Ländern, die nicht auf vitalem Boden stehen, sind die Ressourcen immer knapp. Jeder muss mithelfen. Ein Führungsrang des obersten Regierungszirkels, der fünf Stunden am Tag im Pool schwimmt, mit seiner Frau in der Sonne liegt und ihr auf dem Markt das richtige Obst sucht: Sowas würde eine westliche Regierung für einen schlechten Witz halten. In diesem Land hast du deine konditionierten Wurzeln.“ Stille. Tiefe Stille. Abeia sah Ande an. Noch immer schaute er ernst. Abeia atmete aus. Fuhr sich durch die Haare. Dann sagte sie leise. „Das ist es, was.. Aryan tut? Die Wasser... struktur ansehen?“ „Ja.“ „Aber.. die ekya entscheidet doch dann über.. die Linie sagtest du?“ „Die Ekya entscheidet über die Linie. Sie handelt in dem Raum. Aryan stellt den Raum auf. Er entscheidet, wo die Linie beginnt, wie sie läuft, wie weit sie geht, wo sie endet oder wann sie abgebrochen wird. Er entscheidet, wie der Raum liegen muss, damit er die Aroka dort hineingeben kann. Denn anders hat es keinen Sinn. Anders können es andere Leute machen. Aber nicht wir. Wir sind nicht wir, wenn wir nicht die Aroka mitbringen. Das ist eine Identitätsfrage. Wenn wir helfen sollen, dann müssen wir das entlang des Raums tun, in dem Aryan sich befindet.“ Stille. Abeia stand noch immer reglos. Ande sprach ruhig weiter: „Hilfe ist nicht eine so eindeutige Kraft wie es scheint. Es klingt erstmal gut. Oft ist es das nicht. Sogenannte Hilfsprojekte können sehr viele andere Dinge sein als Hilfe. Kontrollversuche. Taktik. Eroberung. Demütigung. Abwertung. Entwicklungshemmnis. Verstrickung. Fehlführung. Komplikation. Ressourcenraub. Selbstbefriedigung. Dominanzstreben. Bahnung oder Erzwingung von Handelsräumen. Vor allem immer wieder: Machtdemonstration. Ich helfe dir. Ich bin oben. Du bist unten. Warum kann ich dir überhaupt helfen. Oft ist die Antwort: Weil ich Geld habe, das ich dir vorher weggenommen oder gar nicht erst gelassen habe, obwohl es dir zusteht. Weil ich Wunden geschlagen habe, an denen du noch leidest. Oder weil du dich nicht an mein System angepaßt hast, in dem du dich deshalb jetzt nicht selbst aufbauen kannst. Hilfestellungen sind international fast immer verbunden mit tiefliegenden eigenen Interessen. Auch wenn sie vielleicht in der Situation kurzfristig erleichternd sind und humanitär, tragen sie deshalb noch keine tiefe systemische Heilungsessenz. Für uns ist tiefe Hilfe daher absolut unauflöslich verbunden mit der Quellstruktur der Aroka. Verbindet man sich aber mit der Aroka, gibt sie den Takt vor. Wachstum und tiefe Heilung geschehen in anderen Schritten und Rhythmen. Häufig sieht man gar nicht, dass überhaupt ein Impuls gegeben wurde. Kraft, die eine kontemplativ vitale Quelle hat bringt häufig keine aufsehenerregenden, politisch oder medial schnell verwertbaren Ergebnisse. Und wenn man dann doch mal einen wirklichen Entwicklungsschritt sieht, dann wird er oft genug auch nicht mit dem in Verbindung gebracht, was wir gegeben haben. Sondern eher mit dem Aktionismusballett, das irgendwer gerade in dem Moment gestartet hat. Der sich dann über ein schnelles Ergebnis freut und sich wieder darin bestärkt sieht, dass man doch nur wollen muss. Ich kann dir mal sagen, was die Ekya lehrt zur Frage, woran man erkennt, wer wirklich die Verbindung hat. Das ist der, der noch da ist, wenn alle gegangen sind.“



 
 
 

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