Leseprobe Buch Teil 2: Naraita. Geschichten aus der Todai (ein modernes Märchen)
- Petra Schrader
- 16. Jan. 2023
- 8 Min. Lesezeit

Abeia saß im Schutz der Dunkelheit. Die Kastanien, die am Rand der Wiese vor dem Seeufer standen, schienen sie wie zu bergen. Keyo Adena kam langsam. Ohne, dass seine Schritte langsam wirkten. Ohne, dass er einen Umweg machte. Dennoch näherte er sich seltsam sanft. Irgendwann saß er neben der lautlos weinenden Abeia. Verschwand auch in der Dunkelheit. Abeia hatte ihre Hände auf die Augen gepreßt. Keyo Adena legte seinen Arm etwas nach hinten. Sagte nichts. Abeia ließ sich wie in die Seite fallen. Der Pilot nahm sie an sich. Dann begann Abeia zu schluchzen.
Die Berührung wirkte wie eine Lösung. Wie ein Gefühl, das sie fast vergessen hatte. Abeia weinte weiter. Spürte, dass Keyo Adena es nicht eilig hatte. Irgendwann ebbte das Weinen ab. Der Naraita hatte noch nichts gesagt. Abeia hatte ihn noch niemals so ruhig erlebt. „Ist er.. noch da?“ Keyo nickte. „Ja.“ Abeia sah von weitem auf das erleuchtete Haus von Christopher Richter. Den großen Garten. Abeia flüsterte: „Ich kann da nicht hin.“ „Ist ganz okay.“ „Was macht er.. mit Mama?“ „Er macht nichts, Abeia. Er versucht, sie zu beruhigen und mit ihr zu sprechen. Yoshia ist ein wunderbarer Mensch. Du mußt vor ihm keine Angst haben. Und auch sonst vor niemandem.“ Abeia weinte wieder. Suchte Schutz. Schutz vor Naraita. Schutz bei Naraita. Zu schnell war alles gegangen. Noch niemals hatte Abeia ihre Mutter so panisch erlebt. Abeia blieb an Keyo Adena wie gepreßt. Wußte nicht mehr weiter. Keyo Adena hielt sie ganz ruhig. Sprach weiter: „Das war ein Schreck für euch. Deine Mutter hat sich so erschrocken, und da hat sie dich gleich mal fett angesteckt.“ „Sie hat gesagt, dass sie vielleicht bestraft wird. Dass die Noja kommen. Dass sie ein Verfahren bekommt. Dass die alle.. irgendwas mit ihr machen. Und dass sie sie nadeln. Und dich auch sogar. Sie hat mir gesagt, dass..“ Keyo Adena hielt sie etwas fester: „Unsinn. Das ist Unsinn. Niemand tut dir etwas. Und ihr auch nicht. Und mir auch nicht.“ „Aber sie waren schon da.. und jetzt auch..“ „Ja, sie sind hierhin gekommen, um dich zu schützen. Aber sie bedrängen dich nicht, sie tun dir nichts und auch deiner Mutter nicht. Sie sind jetzt weiter weg und kommen auch nicht auf das Grundstück hier.“ „Ich will nicht zu ihnen. Ich will nicht nach Naraita.“ „Das musst du auch nicht.“ „Warum sind sie dann hier. Warum sind sie hinter mir hergefahren.“ Keyo sah zum See. Dann sagte er: „Damit sie dir helfen können, falls du sie brauchst.“ Stille. Abeia hatte innegehalten. Dann presste sie: „Ich brauche keine Hilfe.“ Keyo nickte. Ruhig und leise sagte er: „Wir wußten nichts von den Zusammenhängen. Du nicht, und ich auch nicht. Und jetzt sind ein paar Kräfte durch das Ganze in Bewegung gesetzt, die du nicht verstehen kannst. Vertrau mir wenn ich dir sage: es ist gut, wenn die Keayake zumindest in der Nähe sind. Für alle Fälle. Sie sind nicht nah bei dir. Sie werden nicht tätig, wenn nichts passiert. Aber es ist gut, dass wir sie jetzt hier haben. Sie kommen dir nicht näher, und du kannst in Ruhe das alles erstmal verarbeiten. Dafür musst du sie nicht treffen. Wenn du sie nicht reinläßt, läßt du sie nicht rein.“ „Ich lasse sie nicht rein!“ Keyo nickte wieder. „Gut. Du sagst du möchtest nicht, dass sie dir näher kommen. Das geben wir weiter, und dann wird es in Ordnung sein. Es ist deine Wahl.“ „Gut. Ich möchte nicht, dass sie mir näher kommen.“ „Gut.“
(...)
Abeia saß auf ihrem Bett und hatte sich in Kissen vergraben. Es waren Tageskissen. Sie waren klein. Trotzdem konnte man sich vergraben. Es hatte ein bißchen von Trotz. Ein bißchen von Angst. Und ein bißchen von kindlichem Schutz. Abeia hörte zu. Aber sie blieb in die Kissen gedrückt. Christopher Richter lehnte am Fenster. Wirkte sehr ruhig. Auch: leicht. Abeia krallte sich in das Kissen. Das, was Christopher Richter erzählte, beruhigte sie ein bißchen. Aber das wollte sie noch nicht zugeben. Der Commander lächelte ruhig. Die Ruhe überwog. „Er war sehr offen, sehr freundlich und sehr ruhig. Ein ganz, ganz interessanter Mensch.“ „Wie sieht er aus.“ „Er ist jung. Aber er hat eine sehr intensive, sanfte Ausstrahlung. Er hat mir sehr aufmerksam zugehört. Und ich habe eine tiefe Freundlichkeit erlebt.“ „Was.. hast du ihm gesagt.“ „Ich habe ihm dafür gedankt, dass ich mit ihm sprechen kann, und ich habe ihm gesagt, dass mein Anliegen das ist, Informationen zu bekommen und einen Kontakt zu bahnen. Über dich zu sprechen und über das, was die Hochajani möchten. Was sie fordern. Wie sie über das alles denken. Wie sie dazu stehen und wie sie auch zu uns stehen.“ „Du bist da... einfach so reingegangen?“ „Nicht einfach so, sondern es war ein adliger Rang des Protokolls da, sein Name war Regiedo Harada. Er hat mich vom Tor an begleitet, ein ganz ruhiger, sanfter, sehr zugewandter Mann, der mir ein paar Sachen kurz erklärt hat, aber ohne.. ein großes Unterfangen daraus zu machen. Das war sehr entspannt. Er ist auch die ganze Zeit dabeigeblieben, stand sehr in meiner Nähe, und ich hatte das deutliche Gefühl, dass er da war, um mir zu helfen, falls ich irgendwo unsicher bin oder es Probleme gibt mit der Sprache. Allerdings war das nicht nötig, zumindest hat er nicht für mich sichtbar eingegriffen.“ „Und.. Keyo war auch dabei.“ „Keyo und auch Dr. Manae. Außerdem ein Denei der Noja und eine Dannai der Harada. Dr. Manae hat angefangen mit Sprechen, nicht ich.“ Abeia erstarrte. „Ein Denei.. der Noja auch?“ „Ja.“ „Hat er.. hat er dir was getan?“ „Aber nein.“ „Mußtest du.. so knien?“ „Nein. Wir haben uns einfach die Hand gegeben.“ „Was haben.. die gesagt.“ „Der Sheya hat sehr gute und wichtige Dinge gesagt, die mir sehr geholfen haben. Die sehr viel Klarheit bringen. Er hat gesagt, dass er sehr bedauert, was passiert ist. Er bedauert, dass Kirahe Angst bekommen hat, und er bedauert, dass du von Naraita getrennt warst. Dann hat er etwas Wichtiges gesagt, wie ich finde, auch etwas sehr Echtes, er hat nämlich gesagt, dass er sich sehr darauf freut, dich kennenzulernen. Er hat mir von deinem Vater erzählt, hat mir auch Fotos gezeigt, und man hat gespürt, dass er deinen Vater sehr gemocht hat. Und dann hat er ein paar formale Dinge gesagt, die ebenso wichtig sind. Erstmal hat er mir erklärt, dass die Situation für niemanden „eine Wirkung gegen die Person, gegen das Ansehen oder den Besitz nach sich zieht“, so hat er es ausgedrückt. Das klang mir ganz nach einer präzisen und juristischen Formulierung. Dass Kirahe keine Angst haben muß und auch sonst niemand von uns. Er hat mir Beresa Noja vorgestellt und erklärt, dass er ein Rang der Shijoa ist, und dann hat dieser mir erklärt, dass es seit gestern ein Urteil der Shijoa gibt und dass Kirahe auch wenn sie nach Naraita käme sich vor der Shijoa nicht verbergen und nichts befürchten muß. Danach hat der Sheya gesagt, dass du jederzeit kommen kannst, egal wann, egal zu wem, aber dass du das überhaupt nicht mußt. Er hat dich eingeladen. Mehr nicht. Ich habe jetzt seine private Handy-Nummer, um sie dir zu geben. Er möchte, dass du sie hast. Und wann immer du willst, kannst du ihn anrufen. Dr. Manae hat mir später noch mal erklärt, dass das etwas ganz Außergewöhnliches ist, auch innerhalb einer Familie, dass man die direkte Handynummer bekommt und nicht über das Sekretariat gehen muß.“ Abeia sah ihren Onkel an. Klug an. Klug wie eine Hochajani. „Du magst ihn ja schonmal.“ Christopher Richter lächelte: „Er hat mich sehr beeindruckt. Und er war anders, als ich gedacht habe.“ „Wie hast du gedacht.“ „Sehr viel schwerer.“ „Wie war er.“ „Er war leicht. Am Ende hat er gesagt: Ich fände das auch nicht einfach. Sagen Sie ihr, wenn sie möchte, komme ich zu ihr. Sie wählt wo.“ Stille. Abeia gab einen seltsamen Laut von sich. Einen Hauch von Lächeln. „Na. Ob der zu uns den Garten kommt.“ Christopher Richter meinte ernst: „Daran habe ich keinen Zweifel.“
Abeia erstarrte. „W..as?“ „Das Gespräch war danach.“ „Bei.. den Noja??“ „Bei den Keayake.“ „Waren da auch.. Noja?“ „Es war einer der obersten Leiter der Keayake, Inetai Noja, auch Beresa Noja war wieder mit dabei, außerdem war Hagakei Adjadan dabei, den ich schon lange kenne hier von der GESA, und der, was ich nicht wußte, auch ein Führrang der Keayake ist. Ich bin davon überzeugt, dass es kein Zufall war, dass er da war, sondern das sie ihn dazugeholt haben, weil ich ihn schon kenne. Damit ich eine Brücke habe. Das sagt sehr viel aus. Und auch Regiedo Harada war dabei, er war die ganze Zeit bei mir, und auch er ist wie sich herausstellte ein Führrang der Keayake.“ Abeia saß wie eine Salzsäule. „Oh Gott, er war.. ein Keayake und hat das gar nicht gesagt, und dann warst du mit denen allen ganz alleine?“ Christopher Richter saß ganz ruhig. „In der Heze arbeiten ja höhere Ränge häufig in zwei Abteilungen, das ist ganz normal. Letztlich heißt das einfach, dass er ein Hochführrang ist. Und als es dann um die Wege des Ansprechens für uns ging, da wurde dann klar, dass Regiedo Harada auch bei den Keayake führt und möglicherweise auch mal für uns erlebbar werden könnte in dieser Funktion. Aber auch bei dem zweiten Gespräch war er als Protokollrang dort, und das war auch deutlich spürbar für mich. Er hat mich wirklich im Wortsinn durch die Todai begleitet, auch auf den Wegen, durch Abteilungen, und er hat ganz wenig gesprochen, aber immer im richtigen Augenblick, oder nur mit einer Geste, sehr berührend. Und ganz aufmerksam, einmal habe ich mich dann doch verhakt im Keigo, das wäre auch nicht schlimm gewesen, aber Inetai Noja ist im Gespräch schnell runtergegangen in der Ebene, und ich wußte nicht sofort, wie ich ihm in der Antwort folge, wie ich da anknüpfe, ob ich da nicht noch weiter runter muss und wie genau das von der Form her geht. Und sofort hat Regiedo Harada meinen Satz abgerundet. Nicht belehrend, sondern er hat mir einfach die Wendung mit der richtigen Endung angegeben, wie man jemandem... den Zucker reicht beim Kaffeetisch. Er hat mir das Wort angeboten kann man sagen, ich konnte entscheiden, Er hatte am Anfang in sehr fließendem Deutsch mir gesagt, dass wenn mir eine Vokabel fehlt er mir gerne helfen kann, wenn ich möchte. Und diese Hilfe habe ich natürlich gerne angenommen. Und mit der Vokabel hat er mir dann aber auch die Hilfe im Keigo gegeben. So konnte ich dann diese Worte aufnehmen und dort auch entspannter weitersprechen. Es ging in dem Gespräch darum, was die Keayake in Berlin uns geben möchte, inwieweit sie uns Schutz anbieten, nicht nur dir, sondern auch bezogen auf dieses Haus hier. Inetai Noja hat einige Dinge erklärt, wir haben über dich gesprochen, aber auch über Christine und mich sowie die Kinder, über die Möglichkeiten hier, über die Angebote. Es war eine sehr schöne Atmosphäre, die Führränge der Keayake waren absolut freundlich und sehr ruhig, sehr behutsam, auch sehr verständnisvoll. Sie haben auch nochmal erklärt, dass sie dich in keinster Weise bedrängen, dass sie dir einen sicheren Rahmen schenken möchten, besonders an Punkten, die du noch nicht selbst verstehst. Sie haben erklärt, dass Ränge hier sind, dass und wie wir uns jederzeit an sie wenden können, und dass sie uns helfen werden, wenn wir sie brauchen.“ Abeia konnte es nicht glauben. „Aber du warst alleine mit.. denen. Oder war noch jemand dabei.“ Christopher Richter meinte ruhig: „Nein, es war niemand dabei und ich habe auch nicht das Gefühl gehabt, dass das notwendig ist. Wir haben etwas abseits gesessen von der Haupttodai, also in einem anderen Gebäude, es war sehr angenehm da, und ich habe überhaupt keine Sorge. Ich arbeite schon mein ganzes Arbeitsleben für die Todai, und was dort geschieht ist: Sie machen uns ein großes Geschenk. Am Ende habe ich noch Dak Noja kennengelernt, das ist der Leitende Zyra der Keayake, der Chef vom Dienst sagt man hier in Deutschland, und ich war wieder sehr beeindruckt, ganz ein toller Mann. Er hat gesagt: „Wenn etwas Kleines ist: Melden Sie sich. Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich bin kein großer Rang. Sie können etwas Kleines zu mir bringen, auch wenn es wirklich aus dem Alltag ist, eine Frage, vielleicht eine Sorge. Etwas, was Sie nicht nach oben bringen wollen sofort. Etwas aus der Mühe Ihres Alltags. Bringen Sie es zu mir.“ Abeia saß reglos.
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