Hilflosigkeit
- Petra Schrader
- 19. Apr. 2023
- 13 Min. Lesezeit

Hilflosigkeit heisst
in die Arme fallen
die man nicht gesehen hat
an die man nicht glaubt
auf die man nicht hofft
Hilflosigkeit heisst
man kennt alle Buchstaben
des Alphabets und
es taucht ein neuer auf
die eigene Grenze
bricht das Tor auf
in eine Welt
und diese heisst
Himmel
mitten auf dem Meer
hat ein rettender Rang
eine Badematte
er schlägt sie auf
mit einer schnellen Handbewegung und diese heisst
ich bin da.
Auszug aus: Naraita. Das Land des Wassers. Märchen für Erwachsene. Geschichten der Zire der Todai (exekutive Hilfeabteilung für Staatsbürger des Landes Naraita)
Leises Summen. Rotorengeräusche. Keine Fenster. Oder. Dunkle Fenster. Draußen war es dunkel. Das Licht war sanft an der Liege. Kibora Age lag. Der Schmerz brannte. Und er brannte nicht. Sie sah eine Infusion. Immer wieder das Rotorengeräusch. Der Raum bewegte sich. Sie hielt sich noch immer fest. Der Mann war da. Er war nicht weggegangen - die ganze Zeit nicht. Seit er sie angefaßt hatte. Sanft. Fest. Ruhig. Er hatte sie getragen. Es waren mehrer Männer gewesen. Schwarze Sturmanzüge. Sagte man so? Sie hatten sich von einem Hubschrauber abgeseilt. Irgendwie wie im Kino. Kibora spürte, dass alles durcheinander war. Sie lebte. Das war mehr, als sie vor kurzem erwartet hatte. Lebte sie noch? Niemand schoß mehr. Keine Schreie. Es war still: Bis auf die leisen Rotoren.
Kibora sah den Blick des Mannes. Hielt sich an ihm fest. Ganz langsam wurde sie ruhiger. Zitterte nicht mehr. Hielt sich und hielt sich. Es fielen kaum Worte. Der Mann wirkte auf sie unglaublich beruhigend. Irgendwann preßte Kibora in rauhem Englisch: „Was ... wollen Sie von mir.“ Durcheinander. Widersprüche. Der Mann war schwarz gekleidet. Er hatte eine Waffe gehabt. Aber er hatte sie beruhigt. Schon vor dem Kleinbus. Der Kleinbus hatte gebrannt. Überall Milizen. Sie hatte sich in das Gebäude gerettet. War gelaufen. Hatte geschrien. Hatte nicht schreien wollen. Wenn man sie gefunden hätte, wäre das das Ende gewesen. Dann hatte sie jemand getragen. Der Mann in schwarz. Jetzt saß er immer noch vor ihr. Hatte etwas auf ihren Zugang gesetzt. Eine Spritze. Kibora starrte auf die Ampulle, die jetzt leer danebenlag. Der Mann sah sie noch immer ruhig an und sagte auf Amai: „Sie sind jetzt in Sicherheit.“ Kibora sah auf etwas, das sie zunächst nicht verstand. Eine Plakette am Gürtel des Anzugs. Ein Zeichen. „Sind.. Sie aus Naraita?“ Als der Mann sprach, begriff Kibora, dass er etwas wiederholte. Er hatte es schon mehrmals gesagt, aber sie hatte es nicht verstanden. „Mein Name ist Aryan Amea Noja, ich bin Denei im exekutiven Dienst der Todai. Wir sind von der Botschaft in Kairo aus mit einem Hubschrauber gekommen, um Sie zu evakuieren. Im Moment befinden wir uns bereits wieder im ägyptischen Luftraum. Sie sind jetzt in Sicherheit, es passiert nichts mehr.“ „Sie... Sie sind ein... Denei?“ „Ja.“ Kibora atmete tief aus. Hielt noch immer die Hand. Sie war warm und ruhig und es kam nicht in Frage, sie loszulassen: Es ging nicht. Gepreßt sagte sie: „Was ist... mit den anderen Menschen, da waren.. so viele im Bus..“ Der Denei nickte. „Wir haben die Angreifer sediert und entwaffnet. Das ist keine Lösung, aber wir können hier keine langfristige Lösung an diesen Ort bringen.“ „Sie haben... nur mich mitgenommen.“ „Es war niemand schwer verletzt. Die Angreifer werden mehrere Stunden bewußtlos sein, und die Leute können sich in dieser Zeit in Sicherheit bringen. Das Militär ist schon unterwegs dahin.“ „Ich... verstehe.“ Tiefes Ausatmen. „Ich bin... es war noch nie so schlimm dort. Nicht in Bugasa. Ich lebe dort schon zehn Jahre. Die Gegend ist ruhig eigentlich. Relativ. Natürlich... ist es riskant, es ist.. meine Entscheidung gewesen. Aber in Bugasa ging es. Und die Menschen kannten mich.“ Aryan Noja nickte ruhig. Kibora Age preßte ihre Hand kurz vor ihre Augen. Dann sagte sie: „Ich kann nicht zurück oder. Nein.“ Stille. Aryan Noja sagte ruhig: „Nein.“ „Ich habe.. alle meine Sachen auf der Farm.“ „Wir bringen Sie jetzt zunächst in die Botschaft.“ „Ich habe nicht... gedacht, dass ich noch lebe. Jetzt. Als ich die Laster sah, da.. ich bin lange genug dort. Ich habe in der Botschaft angerufen und gesagt, dass sie meiner Mutter sagen sollen.. sie arbeitet in der Botschaft. Sie sollen ihr sagen ich liebe sie.“ Kibora weinte. „Ich habe der Telefonistin gesagt, ich werde gleich sterben. Es täte mir leid. Das... habe ich gesagt es täte mir leid.“ Aryan Noja nickte ruhig. Kibora sah sich um. „Hat man Sie... wieso sind Sie gekommen?“ „Wir haben für solche Fälle verschiedene Möglichkeiten.“ „Sind Sie... wegen mir gekommen?“ „Ja.“ Kibora spürte Tränen in den Augen. Sie sah auf die Infusion. „Bin ich... verletzt?“ „Das schauen wir gleich in Ruhe. Eine größere Verletzung sehe ich im Moment nicht. Sie haben einige Medikamente bekommen, die in und nach einem so schweren Erlebnis stützend und auch etwas beruhigend sind und mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben. Wir nehmen jetzt etwas Tempo raus und dann ordnen sich die Dinge ganz von selbst.“ Kibora ließ den Arm des Mannes los. Fühlte noch immer die tiefe Ruhe, die von ihm ausging. Sie lehnte sich langsam an.
Als sie den zweiten Mann sah, kam die Erinnerung schlagartig zurück. Berührungen. Gerüche. Geräusche. Er hatte sie gehalten. Nicht getragen, wie der andere Mann. Er hatte seine Hand auf ihren Arm gelegt. Wortlose Worte. Sie sollte nicht erschrecken. Dann hatte er geschossen. Immer wieder. Fast sanft setzte er sich neben die Liege. Auch sein Blick war ruhig. Und auch er hatte eine Plakette. Eine Plakette der Todai. Kibora atmete aus. Sie überlegte nicht, wie sie sprechen sollte. Alles war noch zu frisch. „Sind Sie auch.. ein Denei?“ Der Mann nickte ruhig. „Mein Name ist Ande Amea Noja.“ Kibora preßte ihre Hand wieder kurz auf ihr Gesicht. Dann sagte sie: „Danke, dass Sie.. gekommen sind.“ „Das haben wir gerne gemacht.“ Kibora tastete an ihren Oberschenkel ohne zu verstehen warum. Der hinzugekommene Mann sagte: „Können Sie gut liegen hier?“ „Ja. Ja, es ist... gut hier.“ „Okay. Mein Bruder ist Arzt, deshalb ist er hier an Ihrer Liege. Ich helfe ihm. Wir möchten Sie jetzt gerne mal genauer anschauen, ob Sie verletzt sind. Wenn wir dürfen. Mein Bruder würde Sie einmal ganz vorsichtig, ohne Ihnen wehzutasten abtasten, einen Ultraschall machen und vielleicht je nachdem auch ein paar Röntgenaufnahmen. Das haben wir alles hier.“ Kibora antwortete: „Ja, ich glaube... mein Bein tut weh.“ Ande Noja nickte. „Als wir kamen, haben Sie gelegen. Wir denken, dass Sie vorher gefallen sind oder gestoßen wurden. Einige wichtige Stellen haben wir schon vor Ort nachgefühlt, besonders am Hals. Da ist nichts. Aber jetzt würden wir gerne nochmal genauer gucken. Dürfen wir?“ „Ja, natürlich...“ Die Männer machten einige Handgriffe. Kibora sah ein kleines Ultraschallgerät. Sie verstand nicht, warum der zweite Denei dazugekommen war. Aber alles wirkte wunderbar sanft. Ruhig. Die Männer trugen noch ihre schwarze Kleidung, aber sie wirkten nicht bedrohlich. Der zweite Denei hielt Kiboras Blick. „Wenn ich darf, stütze ich Sie ein bißchen, so dass wir Sie drehen können. Möchten Sie mir Ihren Arm geben?“ Kibora nickte. Ande Noja faßte sie sanft. „Sehr gut. Sie brauchen nichs zu machen. Schauen Sie einfach zu mir. Es tut nicht weh.“ Kibora spürte, dass sie abgetastet wurde. Sie wurden behutsam auf die Seite gedreht und gehalten. Das Tasten war unglaublich zart. So vorsichtig, dass sie es kaum spürte. Wie mit Fingerkuppen. Irgendwann sagte Aryan Noja, indem er hinter sich griff: „Okay. Ganz langsam wieder zur Seite. Vorsichtig, Ihre Hüftpfanne ist mindestens schwer geprellt. Das ist ein Ultraschallgerät, ist nur etwas Gel dran. Nicht erschrecken, ich schalle einmal Ihren Bauch.“ Kibora hatte sich wieder zurückgelehnt. Ande Noja assistierte Aryan mit weichen Handgriffen. Der Monitor war sehr klein. Dennoch schien der Denei zu sehen was er sehen wollte. Er nickte ruhig. „Gut, da ist alles in Ordnung.“ Plötzlich erschien ein Röntgenbild. Kibora spürte, dass sie Schmerzen hatte. Waren die vorher auch dagewesen? Oder hatte etwas sie überdeckt. Der Schmerz wallte an, und Kibora verkrampfte sich. Aryan Noja sagte schon: „40.“ Eine zweite Ampulle wurde aufgezogen, und Aryan Noja sagte: „Sie bekommen ein Schmerzmittel. Ihr Schreck klingt jetzt langsam ab, und dann spüren Sie wieder mehr. Der Oberschenkelknochen hat einen Haarriß. Das ist ein leichter Bruch, ganz stabil, da brauchen Sie auch nicht mal einen Gips. Aber im Moment wird erstmal anschwellen und Blutergüsse bilden und auch wehtun. Sie bekommen solange etwas dagegen, und wir kühlen das gleich. Lassen Sie das Bein so liegen. Genau. Und einfach wieder anlehnen. Geht es?“ Kibora spürte, dass der Schmerz nachließ. Sie nickte erleichtert. „Ich habe mich nur.. erschrocken, glaube ich.“ „Wir sind bei Ihnen. Ich höre noch einmal auf Ihre Atmung. Mal tief einatmen. Danke.“ Das Stethoskop verschwand schon wieder. „Gut.“ Der Denei griff wieder nach hinten. „Wir sind in zehn Minuten in Kairo. Dann kommen Sie dort erstmal auf die Krankenstation, damit Sie sich ausruhen können und das Bein etwas abschwellen kann. Wir bleiben noch bei Ihnen.“ Kibora hatte Tränen in den Augen. „Danke, dass... Sie mir geholfen haben.“
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Das Meer rauschte sanft. Die Abenddämmerung goß ein wunderbares Licht auf die Veranda. Als Ande Noja herankam, stellte Aryan Noja sein Glas ab und sagte zu Abeia: „Nicht erschrecken. Das ist ganz normal und ab und zu brauchen wir das.“ Abeia hielt inne. Dann war Ande Noja heran. Nejae lächelte nur. Ande sah zu Abeia und sagte: „Kurz weghören. Das ist nur was zwischen uns.“ Abeia hustete fast. Aryan sah sie an: „Keine Sorge. Er haut nur mich.“ Ande stand sehr präsent und schnitt: „Mach das nicht nochmal.“ Aryan goß noch Saft nach. „Ich habe doch gar nichts gemacht.“ „Wir hatten kein Bild. Das war ein akut gezogener Notfall. Der Raum war nicht aufgestellt.“ „Dabei habe ich immer ein Handbuch dabei, wie man das macht.“ „Du bleibst im Wagen. Das ist meine Szene.“ „Ich finde, du hast es gut gelöst.“ „Das nächste Mal lege ich dich vorher in Ketten.“ „Ich habe mich extra weggehalten.“ „Hast du nicht. Du hast dich in eine KP-Gerade gestellt und noch den Sonnenschirm-Stab genutzt.“ „Was halt so rumsteht.“ „Das ist nicht witzig, Aryan. Es hätte leicht gestellt sein können. Sie haben den Ort definiert und die Zeit. Das hätte alles vorbereitet sein können. Da muss nichts Großes geplant sein, da reicht ein Scharfschütze. Oder da wären noch fröhliche fünf Freunde aufgetaucht.“ „Oder fünfzehn. Oder fünfzehn Scharfschützen.“ „Die sofort angefangen hätten.“ „Ja, mit dir.“ „Der Wagen ist dafür da, dass du da drin bleibst. Dann gib mir wenigstens zwei Minuten.“ „Wofür.“ „Bis meine Zentrale zumindest den äußeren Gürtel aufgestellt hat, den wir nicht sehen.“ „Das ist zu lang.“ Stille. Aryan Nojas Stimme war plötzlich ernst. Er stellte sein Glas wieder ab und sagte: „Deine Zentrale hat Mist gebaut, und es ist gut, dass es so geschehen ist. Wer immer da war war zu langsam. Wenn er sieht, dass ein C1-Schutzrang der Todai in der Szene ist, muss er als erstes eine notfallmäßige daka einleiten, und für ein Rotbild darf er nicht zwei Minuten brauchen. Auch nicht, wenn er ein Akai ist. Und wenn er sich das vorher nicht eingestanden hat, dann ist es jetzt seine Zeit. Ich frage ja gar nicht, welcher Zyra da saß, das geht mich nichts an. Du weißt es ja.“ Wieder Stille. Ande setzte sich und nahm ebenfalls das Glas. Dann sagte er: „Ja, ich weiß es.“ Längere Stille. Dann sagte Aryan „Ich hatte Dak auf dem Handy.“ Ande sah ihn an. „CB?“ „Er ist den Vorraum erweitert mitgefahren. 1200 Meter. Er meint, es würde ja Frühling.“ Ande atmete aus. Nahm die Wasserflasche und sagte: „Akae abate.“ „Dassarai.“ „Du hättest trotzdem im Wagen bleiben können.“ „Nein.“ „Warum nicht.“ „Weil meine Vollgerade gedeckt war, aber deine nicht.“ Wieder Stille. Nejae legte ihren Arm sanft auf den ihres Mannes. Lächelte. Ande nahm die Eiswürfel. „Immer, wenn du deinen jugendlichen Tag hast, bekomme ich graue Haare.“ „Nur gerecht.“ Die beiden grinsten.
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Abeia setzte sich auf. Spürte plötzlich einen etwas trockenen Hals. Himei Noja hatte sich einfach neben sie gesetzt, auf das Sofa in seinem Wohnzimmer. Er nickte ruhig. „Ich würde Sie gerne langsam ein Stück tiefer an das heranführen, was hier in der Residenz - nicht woanders - auch Teil unseres Alltag ist. Es ist ein Teil des Kennenlernens.“ „Ich... verstehe.“ „Die Keayake haben gerade eine Linie eröffnet, dort geht es um eine Frau, die diplomatische Kontakte zur Todai hat. Diese Frau befindet sich in einem anderen Land und benötigt unmittelbar Hilfe. Die Ekya hat uns hier um diese Hilfe gebeten. Wir haben noch kein Team vor Ort, so dass wir die Frau digital führen, ohne dass jemand direkt bei ihr ist. Hier muss also in kurzer Zeit eine Bindung und Stützung aufgebaut werden, die sicherstellt, dass diese Frau auch uns zuhört und demjenigen, der sie führt. Aryan hat sich gerade in diese Linie eingeschaltet, weil die Frau ihn kennt. Er macht dies von hier aus, damit kein Zeitverlust entsteht. Ich würde Sie einladen, dass wir nun zusammen mit in diesen Raum gehen und Sie sich das anschauen. Damit Sie in späteren Situationen auch einordnen können, was geschieht und auch in Ruhe bleiben können dabei.“ Abeis schluckte. „Das heißt, es geschieht... jetzt gerade.“ „Ja.“ „Werden wir aber.. Ihren Sohn nicht stören dabeI? Dass.. es ihn ablenkt oder... so.“ „Nein. Es ist ein Ausbildungsimpuls, so etwas ist für einen Keto Alltag. Möchten Sie?“ „Ja... ja.“ Himei Noja nickte. „Eines ist wichtig dabei: Sie werden gleich - zumindest indirekt - in Gefühlskontakt gehen mit einer Frau, die große Angst hat und tatsächlich auch in großer Not ist. Sie werden sie weder direkt sehen noch hören, aber es wird reichen. Für Ihre Empfindsamkeit, für Ihr Mitgefühl wird dies reichen. Daher ist es sehr wichtig, Eines zu verstehen: Sie müssen nichts tun. Nichts von dem, was diese Frau benötigt, können oder müssen Sie ihr geben. Sie braucht Aryan, und Aryan ist bei ihr. Er wird ihr helfen und sie durch diese Situation leiten, bis ein Team vor Ort ist. Er spricht mit ihr und ist in Kontakt mit dem Zentralenteam, Ande assistiert ihm, denn dadurch gehen die Schaltungen nochmal schneller, außerdem kann er dann die Anweisungen in das Team übersetzen, und Aryan kann im Transponder auf die Frau zentriert bleiben. Schauen Sie deshalb auf Aryan und nicht auf die Frau. Wir werden auch nicht zulassen, dass Sie direkt auf die Frau schauen, denn das verwirrt nur. Ich nehme Sie jetzt mit, damit Sie Aryan anschauen können und die Art, wie er dies tut. Nicht, damit Sie eine Frau in Not sehen. Okay? Wenn etwas ist, sprechen Sie mit mir. Die Transponder sind akustisch abgeschirmt, Sie können jederzeit mit mir sprechen oder etwas fragen. Und wenn Sie den Raum wieder verlassen möchten, können Sie das jederzeit tun.“ Abeia atmete aus. „Okay.“ Die beiden standen auf.
Größere Monitore. Mehrere Tastaturen. Ein heller, weich geschliffener Tisch. Auch hier ein wunderbarer, sanfter Raum-Duft: Zitrus und Sandelholz? Aryan Noja und Ande standen am Tisch und sahen nur kurz auf. Himei Noja wies Abeia in die Sitzecke und setzte sich neben sie. Es fiel kein Wort. Abeia verstand, dass Himei Noja die Beiden nicht gefragt hatte - aber es entstand keine Reaktion. Aryan Noja hatte im Sprechen auch nicht innegehalten. Sein Blick war jetzt wieder auf den Monitoren. Er sprach ein ruhiges Englisch. „Genau. Lassen Sie das Handy nicht los. Bleiben Sie bei mir. Mir zuhören. Sie brauchen nicht zu überlegen, ich sehe hier alles. Dort stehenbleiben. Wunderbar. Lehnen Sie sich an die Wand. Genau.“ Abeia sah, wie ruhig und konzentriert die Männer standen. Der Raum war seltsam still. Fast wohltuend. Sie sah den Widerschein der Monitorbilder, ohne etwas zu erkennen. Bilder wechselten schnell. Ande tippte und sagte etwas in seinen Transponder, das Abeia nicht verstand. Verkürzte Kommandos. Aryan sprach ganz ruhig. „Jetzt weiter. Die Tür schließen. Und die Treppe runter. Vorsichtig. Nicht stürzen. Halten Sie sich fest. Gut.... nein die sind noch drüben. Nach links. Genau. Wieder die Tür schließen. In der Mitte durch den Raum gehen. Nicht ans Fenster. Sehr gut. Sie brauchen nicht zu laufen. Einfach zügig gehen. Ich bin bei Ihnen... sehr gut. Das Handy ist meine Hand. Halten Sie meine Hand fest. Nicht loslassen. Jetzt vor der Tür stehenbleiben. Warten. Nichts tun. Ich sage Ihnen, wann Sie weiterkönnen. Es ist niemand in Ihrer Nähe. Aber vorne sind noch Kameras. Wir sind schon dabei, sie zu deaktivieren, aber das braucht eine kleine Weile. Nicht erschrecken, gleich hören Sie Schüsse, aber die sind nicht in Ihrer Nähe. Die zerstören nur eine Tür in einem anderen Gebäude. Da ist niemand im Raum hinter Ihnen.“ Seine Stimme wurde fester und etwas lauter. „Alles gut. Alles gut. Nichts passiert. Nicht bewegen. Bleiben Sie dort vor der Tür. Halten Sie das Handy fest. An mir festhalten.“ Ande machte schnelle Handbewegungen. Zwei Gesten. Aryan nickte. „Gut. Jetzt können Sie die Tür öffnen. Nach links gehen. Die zweite Tür auf der rechten Seite. Die grüne. Genau. Dort hineingehen. Tür wieder schließen. Sehr gut. Handy festhalten. Ich sage Ihnen, was jetzt passiert. Unser Hubschrauber wird gleich hörbar und sichtbar. Er bewegt sich sehr schnell. Er wird genau über Ihrem Raum tiefer gehen, und es seilen sich dann Leute zu Ihnen ab. Die Polizisten sind im hinteren Gebäudeteil. Das heißt, der Hubschrauber wird Ihnen näher sein als die Männer. Er setzt den Raum über Sie, wie ein unsichtbares Zelt, und schirmt Sie ab. Unsere Leute werden zu Ihnen kommen und Sie sofort umringen. Wir sehen alle Beteiligten auf den Monitoren. Alle Männer, die blau gekleidet sind, gehören zu uns. Verstanden?... Gut. Wiederholen Sie bitte die Farbe.. welche Männer gehören zu uns?... Genau. Sie brauchen nicht zu überlegen, nicht zu sprechen, nicht zu entscheiden. Wenn Sie blau sehen, gehen Sie mit. Sie brauchen keine Angst zu haben, auch wenn die Sie bitten, sich auf den Boden zu legen oder wenn die Sie an die Wand drücken. Es wird gleich nochmal laut. Der Hubschrauber ist laut, und es wird dann auch einen Angriff geben auf den Hubschrauber. Aber dann sind alle bei Ihnen. Es passiert Ihnen nichts. Okay? Ich bleibe hier am Telefon. Halten Sie das Handy fest.“ Abeia atmete aus. Spürte, dass Angst kommen wollte. Aber der Blick auf Aryan Noja beruhigte sie. Himei Noja beobachtete Abeia ruhig. Fast wollte Abeia etwas sagen, doch sie ließ es gerade noch rechtzeitig. Ande hatte ihr Ansetzen bemerkt und sah tatsächlich auf: Lächelte unerwartet ruhig. Dieser Blick berührte Abeia zutiefst - eine Art Leichtigkeit mitten in dieser schweren Situation. Aryans Stimme hob sich: Er sprach lauter gegen Geräusche. „Gut. Gut. Genau. Setzen Sie sich auf den Boden. Die sind gleich da. Ich bin bei Ihnen. Ich bin bei Ihnen.“ War das Einbildung, oder hörte Abeia ganz entfernt durch den Transponder einen Aufschrei? Sie krampfte die Hand etwas zusammen, dann änderte sich Aryans Stimme, und er gab Kommandos. Schien jetzt mit dem Team vor Ort zu sprechen: Offensichtlich war jemand bei der Frau angelangt. Die Kommandos verstand Abeia nicht. Verkürzte Worte, unbekannte Begriffe. Manöver? Ande sprach ebenfalls. Himei Noja erklärte Abeia ruhig: „Das Team ist jetzt bei der Frau, deshalb ist der Transponder umgeleitet. Sie wird jetzt vom Führungsrang vor Ort betreut.“ Abeia atmete aus. „Die... arme Frau.“ „Sie ist jetzt schon gesichert.“ Abeia räusperte sich wieder. „Sie.. sie wird von Polizisten verfolgt?“ „Ja, es gibt in vielen Ländern hochproblematische und korrupte Polizeieinheiten, die sogar auch von Kartellen beauftragt werden, und die dann ihre Verbindungen und Vollmachten in diesem Land mit einsetzen.“ „Mein Gott.“ Aryan und Ande standen jetzt ruhig und sahen nur auf die Monitore. Himei Noja nickte. „Die Zentrale hat jetzt wieder übernommen.“ „Wer... wer ist dort... denn jetzt? Oder jemand, den ich kenne meine ich?“ Abeia verstand gar nicht, warum sie dies fragte. Himei Noja schien es sehr wohl zu verstehen. Ruhig sagte er: „Nein, es ist das Eingriffsteam der lokalen Botschaft vor Ort. Aber manchmal kann es auch sein, dass jemand von uns mitgeht. Das ist etwas, was wir können, es entsteht dort nichts, wovor Sie sich sorgen müssen.“ Abeia atmete aus. Aryan nickte jetzt und nahm den Transponder ab. Berührte Ande kurz dankend am Arm. Abeia saß reglos. Als Aryan Noja sie ansah, fragte sie gepreßt: „Ist.. sie in Sicherheit?“ Aryan nickte. „Der Hubschrauber ist schon wieder in der Luft. Sie wird jetzt versorgt.“ Abeia fragte: „Kommt sie dann... hierhin?“ „Nein. Diese Frau ist durch einen Übergriff aus ihrem System gerissen worden, weg von den vertrauten Menschen, die sie kennt. Und zu diesen bringen wir sie zurück. Wenn wir sie jetzt in ein ganz neues System bringen, wird es noch schwieriger, zumindest am Anfang. Wenn ein vertrautes System da ist, ist dort der beste Ort, den wir nur möglich machen und rahmen.“ Abeia atmete aus. „Ich... verstehe. Aus.. welchem Land kommt sie? Oder darf ich so etwas nicht fragen.“ „Sie ist Engländerin, aber sie lebt in Marokko, dorthin geht sie auch wieder zurück.“ „Oh... verstehe.. Und wo.. war sie in Not? Oder ich weiß nicht, ob ich so etwas fragen darf.“ „Sie dürfen immer fragen. Wir schauen, wie weit wir antworten. Der Ort, an den wir uns gerade verbunden haben liegt in Algerien. Die Frau ist durch Sicherheitskräfte falsch beraten und betreut worden, es kam zu einem Überfall, und sie musste alleine fliehen. Sie hat weil sie nicht mehr wußte, welchen Kräften sie trauen kann in unserer Botschaft in Marokko, in der sie Kontakte hat angerufen und um Hilfe gebeten.“ Abeia lehnte sich leicht an. „Ach so, sie... war in der Botschaft gewesen?“ „Sie hat dort für Termine gearbeitet, ja, und während einer Visitation von mir ist sie akut erkrankt, so dass wir sie dort einige Tage behandelt hatten, denn das marokkanische Gesundheitssystem ist nicht sehr gut. Daher kannte sie mich.“ Abeia nickte. „Ich... verstehe.“
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