Buchleseprobe: Naraita, das Land des Wassers. Der erste Kontakt mit einer adligen Leibwache.
- Petra Schrader
- 18. Feb. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Juli 2023

Henriette und Abeia saßen am Strand und genossen alles: Dass sie wieder zusammen waren. Dass sie so sprechen konnten. Und dass sie alleine waren: Der Strand der Noja war leer. Abeia lachte. Dann wurde ihr Blick weich. „Na und ob ich das verstehe. Als ich das erste Mal einen Keayake gesehen habe, da... war es einer aus der Familiengemeinschaft. Was ich natürlich nicht wußte. Aber ich glaube heute, dass.. es das war. Nicht dass er ein Keayake war, sondern... einer von ihnen.“ „Wie hast du ihn gesehen.“ „Ich wollte ja nicht hierhin. Ich habe fast ein Jahr gebraucht.“ „Das ist kurz.“ „Dann gab es ein Keayake-Team in Berlin, das.. Dienste hatte wegen mir. Am Anfang habe ich sie gar nicht gesehen, weil ich es nicht wollte. Dann habe ich die langsam kennengelernt, aber nur... die Frauen. Aber dann war es so.. verrückt.“ „Wie war es.“ „Plötzlich war es als.. ich ihn brauchte. Als hätte ich ihn erkannt.“ „W.. as war da.“ „Marianne und Theo haben mich gefragt, ob ich mit ins Crepa komme. Da wäre Salsa-Abend. Ich.. ich hatte damals gedacht, du versuchst es. Wenn die beiden dabei sind.. ich wollte es irgendwie können. Ich..“, Abeia atmete aus, „war so lange nicht mehr gegangen. Naja dann habe ich mich.. überwunden. Und als wir da waren, da.. ging es schon wieder los, weil ein Typ da war, der mich dauernd.. beobachtet hat. Ich habe da gesessen und es nur.. bereut, dass ich es versucht habe. Ich wollte nur noch weg. Marianne und Theo haben hinterher doch getanzt, aber ich wollte nicht. Es waren auch wirklich gute Paare dabei. Aber der Typ war irgendwie immer.. ich spürte, dass er etwas von mir wollte. Und dann war da.. nur diese paar Minuten. Als Marianne und Theo gingen, mußte ich noch ein bißchen warten, weil ich ja nicht wollte.. also ich bin mit meinem Wagen gefahren, aber ich wußte, dass die Keayake da immer in der Nähe sind. Aber ich wollte nicht, dass die die sehen. Obwohl ich die irgendwie auch nie gesehen habe, aber.. naja. Ich blick bis heute nicht, wie die das machen. Aber deshalb habe ich noch etwas gewartet. Aber dann konnte ich nicht mehr raus, weil der Typ sich direkt da an den Eingang gesetzt hatte. Und er hat die ganze Zeit zu mir geguckt.“ Henriette atmete aus. Abeia fuhr sich durch die Haare. Die Erinnerung ließ ihre Stimme weicher werden und verwundbarer. „Und dann sah ich plötzlich diesen Mann da sitzen. Er hatte auch schon die ganze Zeit da gesessen. Aber ich hatte ihn gar nicht irgendwie bemerkt, weil ich immer auf den anderen Typen geguckt habe. Und als ich zu ihm sah, da.. hat er mich auch angeschaut. Also so gesehen wie der andere Mann. Aber.. das war.. eine andere Welt. Ich wußte, dass er mich.. gesehen hatte. Und den anderen Mann auch. Plötzlich wußte ich, dass er ein Keayake ist. Erst als ich bei ihm war, erfuhr ich, dass es sogar.. ein Noja war. Und erst viel später, dass er.. ein Denei war. Der Sohn von Inetai Noja.“ Henriette sah Abeia still an. Abeia umfaßte ihre Haare. „Ich kann es dir nicht sagen, ich.. er sah so anders aus. Ich sah ihn und dachte: Mein Gott. Ein Mann.“ Sie sprach leise. „Heute.. verstehe ich das besser. Heute.. verstehe ich, was Vitalität ist. Das habe ich erst hier gesehen. Die Theos und Nils und Hannes..“ Abeias Blick verlor sich in der Ferne. „Was für ein Unterschied.“ Abeia saß längere Zeit still. Henriette sah sie an und sagte nichts. Spürte, wie tief Abeia berührt war. Irgendwann sagte Abeia leise: „An dem Abend habe ich angefangen damit, die Angst vor den Noja zu verlieren. Nur angefangen. Es war ein langer Weg, und er läuft noch. Aber da... begann es.“

Die Rhythmen der Salsa-Band durchzuckten die Fläche. Die Lichter pulsten. Es waren schnellere Stücke. Der Mann hatte sich an einen Tisch vor den Eingang gesetzt. Sah unverwandt zu ihr. Nahm den Blick nicht von ihr. Abeia spürte sich wie vereist. Der Mann war in den Mitfünfzigern. Durchtrainiert, athletisch. Angetrunken. Dunkle Haare, ein gieriger Blick. Abeia versuchte, aufrecht zu sitzen. Sie konnte aufstehen und an ihm vorbei zum Auto gehen. Sie würde es einfach tun. Der Mann saß und war wie eine Mauer. Abeia spürte die Hilflosigkeit. Sie konnte es einfach nicht. Egal, was sie tat. Kühle. Körperliche Präsenz. Klarheit. Aggressivität. Lautstärke. Ruhe. Sie hatte alles versucht. Und plötzlich spürte sie, dass sie es nicht konnte. Sie suchte etwas, das sie nicht besaß. Ihr Blick fiel auf den Mann, der an einem Tisch an der Barwand saß. Sekundenlang saß sie reglos. Auch er sah sie an. Aber anders als der andere Mann. Er schien zu verstehen, wie es ihr ging. Abeia spürte ein Gefühl, das sie nicht erklären konnte: Ein Gefühl der Einladung. Als hätte er einen Raum geöffnet. „Wenn Sie möchten, kommen Sie zu mir.“ Sie nahm ihre Handtasche und stand auf. Sie ging auf den Tisch zu. Nahm den Blick nicht von dem Mann, zu dem sie ging. Hochgewachsen, leicht gebräunte Haut, breite, athletische Schultern und Arme. Abeia kam an seinem Tisch an. Und dann hörte sie sich sagen: „Entschuldigung. Könnte ich mich vielleicht ein paar Minuten zu Ihnen setzen? Da ist ein Mann, der.. mich dauernd anschaut.“ Die Worte hallten in ihrem Ohr. Sofort stürzten sich ihre Gedanken darauf. Ein Mann, der dich anschaut? Was soll das sein. Du kannst doch nicht Hilfe suchen weil dich jemand anschaut. Ihre Welt würde das nicht verstehen. Der Mann war bereits aufgestanden. Sein Blick war warm und freundlich. Ruhig. Er legte seine Hand auf den freie Stuhl. Abeia stand erst reglos. Verstand ein paar Sekundenbruchteile gar nicht, was der Mann tat. Er rückte ihr den Stuhl. Sie setzte sich. Mied den Blick zu ihrem alten Tisch. Der Mann setzte sich wieder. Abeia sah ihn an und sagte: „Es tut mir leid. Danke.“ Sie sah, dass der Mann zu dem anderen Mann schaute. Und dann sah sie, dass ihre Hände zitterten. Schnell presste sie sie aneinander. Irgendwann sah sie den Mann an. Dann hörte sie seine Stimme, mit undefinierbarem Akzent, ruhig und tief. Er sprach Deutsch. „Möchten Sie etwas trinken?“ „Nein, danke. Ich.. mein Glas steht noch da.“ Der Mann sah zum Tisch. Der andere Mann hatte sich erhoben und war jetzt zu Abeias freiem Tisch gegangen. Er setzte sich, nahm Abeias Glas und setzte es an seine Lippen. Rieb sie daran. Abeia spürte einen Schmerz durch den ganzen Körper gehen. Ihr Blick verschwamm. Der Mann, zu dem Abeia sich geflüchtet hatte, stand ruhig auf. Sofort sah Abeia, wie groß er war. Breite Schultern, kräftige Arme. Ein Schrank. Abeia hielt den Atem an. Spürte eine aufsteigende Panik. Sie wollte keine Eskalation. Der Mann ging zum Tisch. Abeia sah, wie er mit ruhiger Bewegung die Flasche und Abeias Glas, das jetzt genau vor dem anderen Mann stand, nahm. Den Mann nicht ansprach. Er nahm Glas und Flasche, brachte sie zur Theke, die nur zwei Schritte entfernt lag und sagte etwas zur Bedienung. Dann kam er mit einer neuen Flasche und einem neuen Glas zurück. Er öffnete die Flasche, goß Abeia etwas Saft ein und setzte sich wieder. Seine Bewegungen waren noch immer ruhig. Gleichzeitig sorgsam. Das Eingießen und Hinstellen hatte etwas Kunstvolles. Abeia sah auf das Glas. Die ruhigen Schritte, die der Mann gemacht hatte wirkten in ihr. Sie hatte das seltsame Gefühl, das er irgendwie den Tisch gar nicht richtig verlassen hatte. Wie bei einer getanzten Drehung, bei der die Frau in verschiedene Richtungen gedreht wurde, aber immer beim Tänzer blieb, hatte er den Mittelpunkt des Tisches, an dem sie saß immer an der Hand gehabt. Seine Bewegungen waren sanft und wie zurückhaltend. Elegant. Besänftigten etwas. Sie nahm das Glas und trank einen Schluck. Irgendwann sagte sie: „Vielen.. vielen Dank.“ Sie trank noch einen Schluck. Die Kühle tat ihr gut. Sie fühlte sich plötzlich beruhigt. Es war, als würde sie in einem anderen Raum sitzen. Sie spürte deutlich, dass der fremde Mann nicht zu ihr kommen konnte. Als wäre eine Mauer dazwischen. Abeia hörte sich selbst sagen, was sie nicht glauben konnte: „Vielen Dank. Sie sind.. doch von.. denen, oder.“ Sie hatte Amai gesprochen. Der Mann lächelte ruhig. „Mein Name ist Rao Noja, ich bin Pare der Keayake.“ Abeia atmete aus. „Abeia.. Richter.“ „Ich freue mich.“ Abeia sagte auf Amai: „Sind... Sie schon die ganze Zeit hier?“ „Ja.“ „V...erstehe.“ Abeia mied den Blick zu ihrem alten Tisch. „Hatten... Sie ihn auch gesehen?“ „Oh ja.“ Abeia schluckte. Ihr ging auf, dass sie nun ins Amai gewechselt hatte und also vor einem Rang der Noja eigentlich Keigo sprechen musste. Allerdings wußte sie nicht, wie. Mit trockener Kehle sagte sie: „Es tut mir sehr leid, ich.. Tatsache ist, ich kann kein Keigo. Nicht mal.. ein bißchen.. wie ich das jetzt ausdrücken müsste. Darauf war ich nicht vorbereitet, verzeihen Sie mir.“ Rao Noja sah sie sehr ruhig an und sagte: „Ich freue mich sehr, dass wir uns kennenlernen. Ich bin hier, um Ihnen in einer solchen Situation zu helfen. Keigo interessiert mich nicht.“ Abeia spürte eine Woge von Wärme. Der Noja sprach in weichem, wie sanftem umd einfach-informellen Amai: „Es tut mir sehr leid, dass er Sie belästigt hat. Im Moment ist er auf dem Weg zur Garderobe. Vielleicht geht er. Aber Sie müssen sich nicht sorgen, ich werde ihn nicht in Ihre Nähe lassen.“ Abeia spürte eine zarte, wunderbar warme Beruhigung. Die Zeit blieb stehen. Abeia und der Keayake sprachen nicht. Und Abeia spürte, wie in ihr langsam eine tiefe Wärme erwachte. Eine Wärme, die sie nicht kannte. Vertrauen. Sie spürte deutlich, dass sie dem Mann vertrauen konnte, der ihr jetzt gegenüber saß. Abeia lächelte zart. „Jetzt bin ich grad froh, dass Sie.. da waren.“ Raos Augen waren dunkel. Schmerz. Er sah sie an. „Sie werden oft bedrängt. Wir sehen es, seit wir hier sind. Und das ist schwer für uns. Gestern habe ich meinem Chef noch gesagt, noch einmal, einmal noch, und ich gehe dazwischen.“ „Ihrem... Chef?“ „Ich bin noch jung. Jedenfalls wollte ich das als Ausrede nehmen.“ Abeia starrte ihn an. Der Noja sagte: „Wir können sicherstellen, dass Ihnen niemand etwas tut. Aber wir sehen, dass Sie bedrängt werden. Und wie schwer das für Sie ist. Und für uns auch. Wir wären gerne... näher bei Ihnen.“ Etwas in Abeia floß. Etwas am Herzen. Schmerz. Der Schmerz stieg in die Augen. Der Mann hatte eine körperliche Präsenz, die sie nicht kannte. Eine Präsenz, die anzog. Beruhigte. Sie legte ihre Hände auf den Tisch: „Irgendwas mache ich wohl falsch.“ Der Mann sah sie an. Still. Dann sagte er: „Sie machen gar nichts falsch. Es ist, was Sie sind. Diese Männer reagieren darauf.“
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