Leseprobe Buch Teil 3: Leseprobe Naraita - Geschichten aus der Todai (ein modernes Märchen)
- Petra Schrader
- 16. Jan. 2023
- 16 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Jan. 2023

Drei Wochen später stieg Abeia am Tiergartenufer in Berlin aus dem Bus aus. Absperrungen gab es nicht. Aber die Straße war gefüllt mit Übertragungswagen und Journalisten. Dazwischen Schaulustige, Polizisten und Fotografen. Direkt vor der Botschaft war die Straße abgesperrt. Fotografen und Kamerateams. Die Abendsonne tauchte den weißen, hohen Zaun in ein sanftes Rot. In Berlin war es warm. Abeia stand einfach. Blieb in der Distanz. Wollte sich alles nur ansehen. Vor ihr baute sich mangels Platz ein weiterer Kamera-Mann auf. Die Reporterin sprach in ihren Ohrclip. Der Wust ihrer roten Haare wurde gebändigt. Dann ging das Licht der Kamera an. „Guten Abend“, sagte die Reporterin zu ihrem imaginären Life-Partner im Studio und nickte. Drehte sich noch etwas weiter so, dass die Botschaft hinter ihr zu sehen war. „Wir stehen hier vor der Botschaft von Naraita. Die ersten Gäste sind bereits vorgefahren, wir haben den Justizminister gesehen mit seiner Frau, auch der Wirtschaftsminister Manuel Schmidt ist bereits da. Der Bundespräsident und der Bundeskanzler werden in fünfzehn Minuten erwartet. Wir haben gesehen, dass der Doya mit seiner Frau seine Gäste persönlich an der Pforte empfängt. Vor drei Stunden hat der Doya sich ins Goldene Buch der Stadt eingetragen, es hat ein Gespräch im Kanzleramt gegeben, und heute abend ist er der Gastgeber für einen Empfang, der wie Sie hier sehen sehr viel Interesse weckt, es sind erheblich mehr Übertragungswagen da als heute morgen. Empfänge des Hochadels von Naraita haben etwas Märchenhaftes. Das ist das, was uns alle vielleicht berührt. Wir hoffen, dass wir Ihnen im Laufe des Abends auch Bilder zeigen können vom Ball. Zunächst sehen wir hier Bilder, die zehn Minuten alt sind, man sieht die wunderschönen Trachten der naraitischen adligen Dannai.“ Abeia stieß sich ab.
Auf der Rückseite der Botschaft war es ruhiger. Auch hier überall Absperrungen. Wagen der Berliner Polizei. Hundeführer. Übertragungswagen. Viele Kabel. Aber keine Schaulustigen: Hinten gab es nichts zu sehen. Abeia blieb entfernt. Wollte nicht, dass die Polizisten auf sie aufmerksam wurden. Ging an den Beeten entlang und sah auf das pastell-weißen, dreistöckigen Gebäude. Ein Hubschrauber kreiste über dem Kanal. Hinten war es schön ruhig. Ruhig wie die Distanz. Sie ging nah am Zaun vorbei, um vielleicht etwas vom Inneren zu sehen. Doch der Zaun ließ keinen Blick hindurch: Eine entfernte Welt. Dann kam sie an ein offenstehendes Tor. Davor standen Lieferwagen. Vor dem Tor lagen hohe Plastikschwellen, die über die Kabelschienen der Kameraleute gekappt war. An einem geöffneten Lieferwagen stand ein Mann, den Abeia noch nie gesehen hatte. Natürlich hatte sie ihn noch nicht gesehen. Aber auch jemanden wie ihn. Er war schon älter. Weiße Fäden in dunklem Haar. Er trug eine schlichte Tracht: Blau und beige. Glatte, elegante Stoffe, die einfach gefalten waren. Abeia wußte, was die Tracht bedeutete: Eine Diensttracht. Ein Gesicht wie eine Landschaft. Tiefe Sanftheit. Freundlichkeit. Tiefe Wärme. Unmittelbar war Abeia von der Ausstrahlung des Mannes völlig fasziniert. Als er sie ansah, erschrak sie fast. „Entschuldigung. Könntest du mir eben helfen?“ Er sprach Amai. So, wie er es sagte, klang es völlig natürlich. Nicht unhöflich. Nicht unangemessen. Nicht leicht. Nicht schwer. Einfach: Sofort berührend. In das berührend, was Abeia gerade fühlte. Die Distanz. Die Ruhe. Der Mann war völlig unkompliziert. Abeia erstarrte. Im offenen Lieferwagen standen mehrere Pakete. Der Mann erklärte: „Wenn die Wagen über diese Schwellen fahren, dann fällt die Creme, die ich brauche, in sich zusammen. Dabei ist das die Lieferanfahrt. Wieso parken die hier alles voll. Haben die keine eigene Lieferanfahrt.“ Abeia mußte fast lachen. Der Mann war ihr so tief sympathisch, wie sie es noch niemals erlebt hatte. Sie antwortete: „Die hier ist grad spannender...“ „Könntest du das hier nehmen? Bitte ganz vorsichtig. Es sind frische Vima-Baisers, die vertragen keine Erschütterung. Und sie müssen genau vertikal gehalten werden, kannst du das?“ Es fühlte sich völlig natürlich an, von dem Mann geduzt zu werden. Abeia sah eine Kartonverpackung. „Also..“ „Ist nicht schwer. Aber vorsichtig bitte. Nicht zu schnell bewegen.“ Er nahm den ersten Karton und gab ihn Abeia. Abeia begriff, dass der Koch sie für eine Angestellte der Botschaft hielt, weil sie auf Amai geantwortet hatte. Verio hatte immer Amai mit ihr gesprochen, schon als sie noch ganz klein war. „Also.. ich..“ „Vorsichtig. Ganz gerade halten bitte.“ Aus dem Karton drang ein unglaublich intensiver Duft nach Zimt. Abeia hielt unwillkürlich inne: „Hm..“ Der Mann nahm den zweiten Karton und ließ den Wagen offen stehen. „Hinter mir her. Vorsichtig.“ „Eh..“ Abeia wußte nicht genau, wie sie gleichzeitig den Karton balancieren und dem Mann erklären sollte, dass sie die Botschaft nicht betreten durfte. Der Mann war ihr schon ein paar Schritte voraus. Abeia mußte sich beeilen. Sie sah Absperrungen an der Seite, konnte aber nicht genau hinschauen. Versuchte, sich auf den Karton zu konzentrieren. Der Duft des Zimts war betörend. Noch nie hatte Abeia dieses Wort benutzt. Es ging alles sehr schnell. Der Liefereingang lag direkt vor einem kleinen Gebäude. Die Türen standen offen. Köche, Servicepersonal, Sicherheitsleute. Niemand kümmerte sich um Abeia. Vor dem offenen Eingang des Gebäudes blieb sie unwillkürlich stehen. Sie konnte nicht einfach die Botschaft betreten. Was, wenn sie verhaftet wurde? Würden sich gleich irgendwelche Bodyguards auf sie stürzen? Brauchte sie einen Ausweis? Der Mann war jetzt neben ihr und sah auf ihre Arme, die ruhig und vertikal hielten. Nickte: „Sehr gut. Vorsichtig, nicht zu schnell. Da kommt eine Stufe.“ Abeia sah einen großen, dunklen Bogen, der sie an die Sicherheitsschleusen am Flughafen erinnerte. Mehrere Leute gingen vor ihr. Auch an der Seite standen Leute. Niemand schien sich für sie besonders zu interessieren. Abeia ging mit sehr trockenem Hals durch den Bogen. Erwartete einen Alarm. Jemanden, der auf sie zustürzte. Nichts geschah. Warum stoppte sie niemand. Wahrscheinlich, weil sie mit dem Küchenmann gekommen war. Dann waren sie in einer kleinen Vorküche. Plötzlich war es viel ruhiger. Der Mann stellte seinen Karton ab und nahm Abeias Karton. „Das war sehr gut. Danke.“ Abeia wollte sofort wieder umdrehen, um schnell das Gelände zu verlassen, doch dann fiel ihr Blick auf einen kleinen Beitisch. Dort standen zwei wunderschöne Kuchen Die Welle von intensivem Duft, die Abiea traf, ging ihr durch den ganzen Körper. Schokolade, die nicht roch wie normale Schokolade. Sondern lebendig. Tief. Dunkel. Vanille. Himbeere. Glatt, hauchdünn mit dunkler Schokolade verziert. Die Kuchen waren Kunstwerke. Abeia blieb fasziniert stehen und konnte sich von dem Anblick gar nicht lösen. Der Mann hatte Anweisungen gegeben. Offensichtlich kannte er die Leute, die in der Küche waren. Jemand brachte silberne Tabletts. Aber irgendwie war die Küche auch leerer. Abeia blieb noch immer stehen: „Die.. sehen wunderschön aus.“ Der Mann nahm den Kuchen mit der Schokolade und den Himbeeren und stellte ihn auf den Tisch. Etwas in Abeia wollte sie drängen, endlich aus der Botschaft zu laufen, bevor sie verhaftet wurde. Aber sie bewegte sich nicht. Und dann passierte das Unglaubliche: Der Mann nahm ein Kuchenmesser, schnitt einen der Torten durch, legte zwei Stücke auf zwei kleine Teller, legte zwei kleine Gabeln dazu und stellte den Teller vor Abeia. Dann sagte er: „Guten Appetit.“ Abeia war völlig fassungslos. „Was?“ Der Mann lehnte sich an den Tisch. Lehnte, wie andere am Tisch saßen. Abeia starrte auf die edle Torte, die jetzt angeschnitten war. „Das... das ist doch bestimmt für den Doya und den Bundeskanzler, oder.“ „Für die ist die zweite. Die ist mit Johannisbeeren. Du magst keine roten Johannisbeeren.“ Abeia stand noch immer fassungslos. „Woher.. wissen Sie das?“ Der Mann sah sie an. Mit einer so unglaublich tiefen Wärme, wie Abeia sie noch niemals gesehen hatte. Sanftheit. Tiefe. „Ich vermute es.“ Abeias Fassungslosigkeit endete nicht. Sie sah auf das Kuchenstück. Und spürte, dass der Mann es völlig ernst meinte. „Ich.. kann das doch jetzt nicht essen.“ „Warum nicht.“ „Ich.. Sie haben doch diesen Kuchen nicht gemacht, damit ich ihn jetzt esse.“ „Doch.“ Der Mann hatte zwei Gläser mit einem ebenso wunderbar duftenden Tee gefüllt. Der Duft des Tees vermischte sich mit dem Duft der Himbeeren. Abeia schwindelte. Wie intensiv Duft wirkte. Auf das Gefühl. Auf den Körper. Sie atmete aus: „Ich...“ Bevor sie sich versah, hatte sie das Teeglas in der Hand. Auch der Mann nahm ein Teeglas. Dann sagte er: „Hier ist es sicher. Hier ist nicht die Botschaft. Hier ist nur die Küche. Es ist ein eigenes Gebäude. Wir sind hier Dienende. Ich habe gesehen, dass du gestern auch da warst, vorne. Da habe ich gedacht machst du ihr einen Kuchen. Vielleicht freut sie sich.“ Abeia griff nach hinten. Mußte sich festhalten. Zu intensiv war alles. Der wunderbare Duft. Und diese unfaßbare Ausstrahlung dieses Mannes. Die in ihr Herz griff. So sanft. Ihr nah war. Der Weg war sofort offen. Ohne jede Schwierigkeit. Noch nie hatte Abeia so etwas Wunderbares erlebt. So eine intensive Zuwendung. An einem Stehtisch einer Vorküche. Sie fühlte sich, als hätte sie jemand in Wärme gehüllt. Sie suchte nach Worten. Der Mann trank einen Schluck Tee. Abeia folgte ihm. Der sanfte Geschmack des Tees ließ eine weitere Welle durch ihren Körper fließen. Der Tee besaß genau die richtige Temperatur. Schmeckte ganz leicht nach der wunderbarsten Zitrone, die Abeia je geschmeckt hatte. Süß. Nicht Zitrone mit Zucker, sondern eine süße Zitrone - gab es so etwas überhaupt? Der Mann stellte das Teeglas ab. Abeia stellte ihre Glas neben sich und umfaßte es mit ihrer Hand. Das Glas schien weich gerundet. Fast wie Samt. „Sind... Sie..“ „Alle nennen mich Haiku.“ „..alle?“ „Alle Kinder.“ Stille. Abeia stand reglos. „Alle Kinder.“ „Sie bleiben lange Kinder.“ „Ach so.“ Abeia atmete aus und lächelte das erste Mal. „Dann bin ich wohl auch ein Kind.“ „Aber ja.“ Stille. Abeia verstand nicht. Aber sie spürte, dass es etwas Wunderschönes war, vor diesem Mann Kind sein zu dürfen. Sie atmete aus. „Sind Sie.. der Koch der Botschaft?“ Der Mann erklärte: „Nein, ich bin hier nur Gast heute. Ich diene in der Edeno.“ „Das heißt, Sie sind.. ein Arzt?“ „Ja.“ „Aber Sie backen wundervolle Kuchen.“ „Danke.“ Die beiden lächelten. Abeia sagte: „Ist... denn hier jemand krank? Sind Sie wegen des Doyas mitgekommen?“ „Ich begleite den Doya und seine Delegation, ja. Aber es ist niemand krank, sondern ich schaue, dass es ihnen gutgeht und dass sie in der Kraft bleiben, und dazu gehört auch, bestimmte Dinge zu reichen, die ich koche. Oder backe. Die Küche ist ein wichtiger Ort für einen Arzt, ich bin oft dort.“ „Aber die.. anderen wissen nicht, dass ich hier bin, oder. Ich meine... sozusagen aus meiner Familie. Oder... weil ja der Doya hier ist. Und nicht der Sheya. Ich wußte es nicht, weil die im Fernsehen.. das gar nicht richtig trennen glaube ich. Sie haben auch gesagt, seine Frau sei bei ihm. Dabei ist es doch eine Nea, oder.“ „Journalisten. Hast du gesehen, wie sie essen?“ Abeia mußte lächeln. Der Mann trank noch einen Schluck. „Der Sheya ist nicht hier. Du hast mir geholfen, dass ich den Kuchen für den Doya fertig machen kann. Das ist eine gute Aufgabe. Nateo Yamatai ist ein großer und kluger Mann. Du mußt sehen, wie er ißt. Dann weißt du Bescheid.“ Abeia stand fasziniert. Gewärmt. Und als sie sah, dass der Naraita seine Gabel nahm, nahm sie ebenfalls die Gabel. Nahm ein Stück von ihrem Kuchen. Und dann bekam sie das erste Mal in ihrem Leben ein Stück der großen Kunst von Haikuye Aerane Ryozan.
Es wirkte so ruhig. Nur ein paar hundert Meter weiter lief der Staatsempfang. Und Abeia spürte, dass sie sicher war. Sie spürte deutlich, dass sie nicht dorthin musste. Nicht sollte. Nicht konnte. Der Mann nahm sie auch nirgendwo anders hin mit. Nicht in einen Gesprächsraum. Keine Geländeführung. Sie blieben in der Vorküche sitzen: Bei Tee und Kuchen. Nebenan wurde gearbeitet. Geschirr klapperte. Aber niemand störte sie. Die Tür zum Gang war noch offen. Durch eine zweite offene Tür auf der anderen Seite war eine wunderschöne, ruhige Gartenlandschaft zu sehen. Die Sonne ging langsam unter. Abeia ließ sich von der Teetasse wärmen und sagte leise: „Aber die Noja.. wissen nicht, dass ich hier bin, oder?“ Stille. Haikuye Ryozan sah sie ruhig an. „Die Noja?“ „Ja.“ Wieder Stille. Der Mann vor ihr schien zu spüren. Zu lauschen. Er sah sie aufmerksam an. Abeia brauchte nicht viel zu sagen. Sie atmete aus. Der Mann nickte. Dann sagte er: „Du hast Angst vor den Noja?“ Abeia sah ihn an. Plötzlich waren da Tränen. Er brachte soviel Geborgenheit in den Raum. Sie sagte erstickt: „Ja.“ Haikuye Ryozan guckte sehr ernst. Wieder Nicken. Er trank einen Schluck. Dann sagte er: „Sind sie dir zu groß?“ „Zu.. groß?“ „Sie sind schon groß.“ „Ich.. habe noch nie einen gesehen.“ Stille. Abeia preßte. „Sie.. schonmal?“ „Oh ja.“ Haikuye Ryozan lehnte sich zurück. Dann sah er durch die offene Tür zum Gang. Eine Gestalt lief dort vorbei, und der Mann rief etwas. Die Gestalt blieb sofort stehen. Jemand kam herein. Abeia sah eine junge Frau in Küchenmonitur. Sie kam heran. Der Mann machte eine Geste, die Abeia nicht verstand. Dann sagte er: „Guten Abend. Haben Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für uns?“ Die Frau stellte sofort ihr Tablett ab und kam heran. Abeia sah dunkle, in einem kunstvollen Zopf geflochteten Haare. Leicht gebräunte Haut. Ein offenes, weiches Gesicht. „Etaisse. Natürlich.“ Der Mann stellte einen Stuhl heran und sagte: „Die junge Frau hat eine Frage. Können Sie sich kurz zu uns setzen?“ Die Küchenhilfe setzte sich. Der Mann sagte: „Das ist Frau Richter, sie besucht uns. Das ist Frau..“ „Mane Afia.“ Die Naraita neigte den Kopf. Der Mann nickte. „Freut mich, Frau Afia. Wo kommen Sie her.“ „Aus Abere.“ Der Mann erklärte Abeia: „Das liegt in der Provinz der Adjadan. Frau Afia arbeitet in der Botschaft und hat heute natürlich viel zu tun. Deshalb werden wir sie nicht lange aufhalten. Frau Afia, kennen Sie einen Rang der Noja?“ Die Küchenhilfe guckte überrascht. „Afaidesse ataradai. Oh ja.“ „Hier aus der Botschaft?“ „Das auch. Aber ich habe vorher in der Botschaft von Caracas gearbeitet. Bis vor drei Jahren.“ „In Caracas. Dort war es nicht einfach zuletzt.“ Abeia sah, wie sich die Miene der Küchenhilfe verdunkelte. „Am Ende war es furchtbar. Ich habe nicht mehr gewagt, die Botschaft zu verlassen.“ „Ich verstehe. Dort haben Sie dann auch Noja getroffen.“ „Afaideresse. Sie sind gekommen, um uns zu evakuieren. Der Odenei hat angeordnet, dass alle Frauen zuerst gehen. Wir sind vier Wochen vor der Schließung schon weggebracht worden. Und er hat alle Frauen mitgenommen, auch den ganzen Hausdienst und die Leute der Küche. Wir waren fast nur Frauen dort, die hatten gar keine Dienste mehr. Aber er hat gesagt, alle gehen raus. Unsere Leiterin wollte bleiben, damit jemand da ist für die Ränge. Aber der Odenei hat es nicht erlaubt.“ Der Mann wirkte ernst. „Ich verstehe.“ „Die Tore wurden geschlossen. Und wir sollten zunächst nicht mehr in die Stadt gehen. Das waren seine Anweisungen. Wir haben alle getan, was er gesagt hat.“ „Das war also Ihre Erfahrung mit den Noja. Ich hatte Sie nur fragen wollen, weil Frau Richter etwas von den Noja gehört hatte, was ihr Angst machte.“ Die Küchenhilfe schien nicht richtig zugehört zu haben: „Oh ja. Ich hatte auch so Angst. Denn plötzlich war da eine dieser Demonstrationen, die dann hinterher noch so furchtbar wurden, als sie dann immer auch versucht haben, die Botschaft zu stürmen. Das war da noch nicht, aber für mich war es schon schlimm genug. Es wurde auch geschossen genau an der Seite, wo mein Fenster war. Ich war so aufgeregt, ich habe immer nur geweint. Es waren junge Männer, die in die Luft geschossen haben. Der Odenei hat mir ganz fest die Hände genommen und hat gesagt dass ich keine Angst haben muss. Ich könnte bei ihm bleiben. Wir wären sicher, solche... Bewegungen hätten unterschiedliche Größen und Gestalten, und sie würden nicht aus dem Nichts entstehen, und in der Todai würde man.. sehr genau schauen, auch in der Stadt und darüber hinaus, und wenn es langsam... Zeit würde, dann würde die Botschaft geschlossen. Aber da war es noch nicht so. Da habe ich micht erinnert, dass.. eine junge Frau, die in der Botschaft neben uns arbeitete, die Botschaft der Schweiz, sie sagte, dass sie gehört hätte.. von dem Büro des Botschafters, wann dort geschlossen würde. Wenn Naraita geht. Und so war es auch, ich habe darauf geachtet später, als... unsere Botschaft ganz geschlossen wurde, da war dann eine ganz kleine Meldung... dass mehrere andere Botschaften.. auch evakuiert haben, am selben Tag, auch die der Schweiz. Aber als wir noch da waren, da.. waren nur die Tore geschlossen, und auch die inneren Tore. Und die Keayake hatten auch... noch einige Familien aus der Stadt geholt und sie auch in die Botschaft gebracht dann, denn sie sollten auch mit uns kommen. Dabei war auch ein kleines Mädchen, sie hatte auch so sehr Angst und hat viel geweint. Und der Odenei hat uns beide... nah bei sich gehabt. Am Anfang hatte er das Mädchen lange auf dem Arm, sie ist dort... so ruhig geworden. Und ich auch. Die ganze Zeit waren wir bei ihm, bis der Flieger hochging, auch als er noch viele Befehle gegeben hat. Das kleine Mädchen ist... auf seinen Armen dabei eingeschlafen, und.. er hat es nicht abgesetzt, er hat es weitergetragen die ganze Zeit. Das war wunderbar.“ Abeia spürte einen Schleier in den Augen. Der Mann lächelte warm. Abeia sagte erstickt: „Das.. war ein Denei?“ Die Naraita nickte. „Odenei Ande Noja. Viele wissen nicht mal, dass er ein Denei ist. Er ist so bescheiden. Und so freundlich. Ich habe mich so gefreut, ihn hier wiederzusehen.“ Abeia hustete. „Ihn, äh.. hier?“ „Ja, er ist hier stationiert jetzt. Vorhin kam er vorbei, und da habe ich etwas ausgeladen, was schwer war. Da hat er mir geholfen. Stellen Sie sich das mal vor. Dabei ist er ein Denei.“ „Schwer... vorstellbar.“ „Dann hat er mich gefragt, wer mich geschickt hätte, diese Dinge zu tragen. Und ich habe gesagt, dass es meine Wahl war und mein Chef es nicht wußte. Er hätte mich nicht geschickt, aber ich hatte gesehen, dass es da war und heute war ja überall soviel zu tun. Und dann hat der Odenei gesagt, ich solle das nicht tun. Es wäre zu schwer für mich.“ Abeia staunte. „Wir..klich.“ „Ah, die Noja sind so. Sie sind wunderbar. Am Anfang, als er hierhin kam, hatte er mich auch sofort wiedererkannt und hat noch gefragt, wie es mir jetzt geht. Er wußte sogar meinen Namen noch.“ Abeia starrte die junge Naraita an. „Ah so.“ „Alle im Dienst mögen die Noja sehr. Sie sind sehr gut zu uns. Wenn etwas ist, können wir kommen. Und sie passen auch auf uns auf. Meine Schwester arbeitet in der Todai. Sie sagt es auch genauso. Ihre Chefin ist schon einmal in ein agare-Verfahren gekommen.“ „Was.. ist das?“ „Sind Sie auch vom Dienst? Noch in der Ausbildung?“ „Äh.. ich glaube, die würden mich nicht nehmen.“ „Es ist, wenn sie einer Gefahr begegnet. Dass jemand sie erpreßt oder besticht. Um in die Todai zu kommen. Da muss man sich dann sofort melden bei den Keayake.“ „Oh.“ „Die Chefin ist dorthin und sie hatte aber Angst, was dann kommt.“ „Oh das hätte ich auch.“ „Sie waren so gut zu ihr. Es waren dann sofort mehrere da, und auch der Pare kam. Das ist der adlige Rang für den Raum, wo sie arbeitet. Die haben ihr ganz gut zugehört, und dann war plötzlich was auf ihrem Handy. Was so aussah, als ob sie mit denen, die sie kontaktiert haben schon länger zusammenarbeitet.“ „Oh Gott.“ „Da hat sie eine ganz große Angst bekommen und hat auch ganz heftig geweint. Dann kam der Keto der Keayake.“ „Oh meine Güte. Hat er..“, Abeias Stimme versagte fast, „sie genadelt?“ „Sie sagte, er war ganz ruhig. Und ganz wunderbar zu ihr. Er hat ihr gesagt, dass nichts Schlimmes geschieht und was sie machen. Er hatte viele Fragen, und sie haben Dinge gemacht an einem Monitor. Aber der Keto hat gesagt, ich helfe Ihnen jetzt. Da ist jemand, der Sie angreifen möchte. Sie brauchen davor keine Angst zu haben, wir machen das. Und dann sagte sie konnte gar nicht mehr weinen. Weil er so gut zu ihr war. Sie haben dann die gefunden, die das gemacht haben. Und sie waren auch ganz schnell in ihrer Wohnung und bei ihrer Familie, alle wurden geschützt. Die Chefin hat es allen erzählt, damit wir keine Angst haben, wenn so etwas ist. Wir können dann sofort dorthin gehen.“ Stille. Abeia saß reglos.
Die Nacht war lau und wirkte sanft. Im Garten waren überall wunderbare Lichter angegangen. Abeia blieb sitzen. Die Küchenleute arbeiteten: Auch der Mann hatte angefangen, in der Küche zu arbeiten. Abeia fragte nicht, denn sie sah sofort, dass sie ihm nicht helfen sollte. Dennoch war eine wunderbare, einfache Ruhe im Raum. Sie spürte keinen Impuls mehr, die Botschaft wieder verlassen zu müssen. Sie spürte keine Gefahr, weiter in die Botschaft hineingehen zu müssen. Sie blieb einfach in der Vorküche sitzen und sah dem Mann zu, wie er verschiedene wunderschöne Desserts zubereitete. Irgendwann setzte er sich wieder zu ihr. Mit einem einfachen Teller: Brot, Butter und Käse. Neuer Tee, der nach süßlicher Pfefferminze duftete. Abeia hatte still gesessen. Alles gesehen. Lange geschwiegen. Jetzt sagte sie leise: „Es sieht wunderbar aus, wenn Sie kochen. Danke, dass ich zusehen durfte.“ Haikuye Ryozan lächelte sanft. Abeia fragte mit der Klarheit von Worten nach langer Stille: „Wissen die Noja, dass ich hier bin? Ich meine, ich hätte ja nicht einfach.. hier hineingehen können. Oder haben die das nicht gemerkt, weil es vielleicht.. so ein Nebeneingang war.“ Haiku nahm eine Scheibe Brot. „Die Keayake wissen sehr genau, wer hier auf dem Gelände ist. Von jedem Eingang aus.“ Abeia räusperte sich lautlos. „Also wissen sie auch, dass ich hier bin.“ „Ja.“ Stille. „Und.. sie sind nicht gekommen?“ Haiku sah Abeia an. Abeia war irgendwie beeindruckt. „Ich hätte gedacht, dass sie dann.. sofort kommen. Um mich.. weiß nicht. Um mit mir zu sprechen.“ Haiku goß den Tee ein. Dann sagte er: „Die Noja sind Dienende. Sie schenken dir einen Raum, den sie weiten oder wenn du das brauchst auch näher ziehen. Du kannst überall hingehen, niemals wird ein Noja dich dabei bedrängen. Du kannst einen Berg besteigen, ein Valey-Halden-Konzert besuchen oder in ein Kinderfilmkino gehen mit schrillen Bubble-Gums Figuren.“ Abeia musste fast lachen. „Eine... aufsteigende Härte.“ Auch der Mann lächelte. „Im Gegensatz zu dem, was in Naraita manchmal erwartet wird, sind die Noja eine außerordentlich unaufdringliche und zurückhaltende Familie. Ich kann das beurteilen. Sie sind kraftvoll, ja, aber sie sind sehr verantwortungsvoll und behutsam in dieser Kraft. Man sieht dies sogar schon bei jungen Rängen oft. Die Noja schauen sehr, sehr genau auf ihre jungen Ränge. Ich behaupte, die Jungen sind so eng geführt wie in keiner anderen Familie. Aber die Noja verstehen was von Führung.“ Abeia sah Haiku an. „Sind.. sind Sie auch ein Noja?“ „Nein.“ „Aber ich denke, Sie sind ein adliger Rang, oder.“ „Ich bin ein Ryozan.“ „Oh.“ Stille. „Also da Sie der erste adlige Rang sind, den ich treffe, kann ich die Rangstufen noch gar nicht unterscheiden. Ich hoffe, Sie sind nicht gleich.. zu adlig.“ Haikuye Ryozan lächelte warm. „Das hoffe ich auch.“
Lange Stille. Wieder schien Haikuye Ryozan zu verstehen, was Abeia bewegte. Er nickte. Dann sagte er: „So ist es nicht. Es ist nicht so, dass niemand darauf reagiert, dass du hier bist. Dass niemand das bemerkt auf deinem Weg hierhin. Dass niemand dir entgegenkommt. Aber das, was du dort erwartest, kommt nicht von den Keayake, sondern vom Protokoll.“ Abeia saß reglos. „Vom... Protokoll?“ „Das Protokol. sieht, dass du hier bist und entscheidet, wie du empfangen wirst.“ „Oh.“ Abeia setzte sich noch aufrechter. Sah vorsichtshalber zur Tür. Haikuye Ryozan lächelte sanft. „So ist er.“ „W... er?“ „Regiedo Harada.“ „W... er ist das.“ „Der Keto des Protokolls.“ „Und... er ist hier?“ „Er begleitet die Reise des Doya, ja. Das ist so üblich.“ Lange Stille. Irgendwann sagte er: „Sie meinen.. er kommt... nicht. Hierhin.“ Haikuye Ryozan antwortete: „Er hat dir den Raum geöffnet.“ „Was.. heißt das.“ „Er hat vorne das Tor geöffnet, so dass du ohne Kontrolle hineinkommst, er hat die Schleuse geöffnet, so dass du nicht formal geschleust wurdest. Und er hat diesen Raum für dich gesehen.“ „Ge.. sehen?“ „Für dich vorbereitet.“ Abeia sah sich um. Küchengeräte. Der kleine Tisch. Haikuye Ryozans Blick war warm. „Als ich nach draußen ging, um die Creme aus dem Wagen zu holen, und als wir dann beide zurückkamen, war der Raum völlig unverändert. Man sah nicht, dass er hier gewesen ist. Er hatte gar nichts verändert - außer einer Sache.“ Er sah zur Anrichte neben dem Fenster. Dort stand eine roséfarbene, angezündete Kerze auf einer kleinen, wunderschönen weiße Steinplatte. Abeia sah zur Kerze und wurde wieder reglos. „Sie meinen, er hat.. die Kerze angezündet?“ „Er hat sie mitgebracht.“ Abeia schaute noch immer reglos. Leise sagte sie: „Sie ist wunderschön. Auch.. die Platte.“ Haikuye Ryozan stand auf, nahm die Kerze und den Untersetzer und stellte beides sanft auf den Tisch. Abeia fuhr über die kleine Platte. Leise sagte sie: „Das füht sich... ganz sanft an. Ist... das Stein?“ Haikuye Ryozan nahm sein Glas. Dann sagte er: „Das ist Todai.“

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